Fundstücke KW 24

Ein großes Thema der Woche war (wieder einmal) die prekäre Situation für (junge) Wissenschaftler an deutschen Universitäten: „Mit Zeitverträgen ins Verderben“ fasste z.B. die Süddeutsche das gegenwärtige Dilemma zusammen.
Die Hochschulen hingegen wollen die Befristung (außer bei Professorenstellen, natürlich!) hingegen zur Regel machen und wehren sich gegen strengere Auflagen, wie Der Spiegel Online berichtet.
Die europäischen Bildungsminister wiederum fordern, das Bachelor- (ehemals Grund-) Studium müsse „praxisnäher“ werden. Das bedeutet im Klartext, Studieninhalte haben sich stärker den Interessen und Forderungen der Wirtschaft unterzuordnen – schließlich hat Bildung kein Selbstzweck zu sein! Alles Weitere im Unispiegel.
Unter dem Titel „Tiefer Zwist zwischen Politik und Unis“ fasst die SZ die aktuelle Diskussion zusammen.

Und das ist diese Woche sonst noch ins Netz gegangen:

kurz!-Geschichte hat einen älteren Beitrag der SZ Online ausgegraben, den ich hiermit ebenfalls verlinke: „Mythos Mittelalter – Das Ende der Finsternis„.

In der Welt widmet sich Rebecca Krizak der Person und Legende Kaiser Friedrichs I. „Barbarossa“, der Anfang Juni 1190 auf dem Kreuzzug ertrunken sein soll.

In Talinn sind bei Ausschachtungsarbeiten Überreste von Schiffen des 14. bis 17. Jahrhunderts zum Vorschein gekommen, wie derstandard.at berichtet.

In Herford bei Bielefeld sind nach Überresten des 11. bis 13. Jahrhunderts nun auch Funde der Karolingerzeit zutage getreten, die mit der Gründung des Damenstifts im 9. Jahrhundert in Zusammenhang stehen und ein neues Licht auf die Stadtgeschichte werfen könnten. Ein Beitrag auf Archäologie Online.

Was kümmert’s mich, wenn in Meßkirch eine Hütte umfällt? Nun, die Hütte (bei deren Einsturz am 24. Mai ein Mensch verletzt wurde) stand auf dem Gelände des Campus Galli, wo angeblich mit frühmittelaltelichen Materialien, Werkzeugen und Methoden eine „karolingische Klosterstadt“ errichtet werden soll. Offenbar hat man dabei übersehen, dass im 21. Jahrhundert andere Regeln gelten als im 9. Jahrhundert, denn für die (aus Steuergeldern finanzierte) Hütte lag keine Baugenehmigung vor, wie Die Schwäbische vermeldet.
(Was bedeutet es wohl für dieses ambitionierte – um nicht zu sagen: größenwahnsinnige – Bauprojekt, wenn man nicht einmal eine einfache Holzhütte legal und solide errichten kann?)

Auf sueddeutsche.de sind Gerhard Matzig und Karoline Beisel der Ansicht, es gebe zu viel Geschichte im Fernsehen … *hüstel*

In Zeiten sinkender bzw. gestrichener Etats in den Bereichen Archäologie und Denkmalpflege muss man kreativ werden und alternative Finanzierungsmöglichkeiten erkunden – z.B. Crowdfunding wie bei diesem Projekt zur Ausgrabung des Galgenhügels Fürstenwalde.
Kann das die Lösung sein? Die öffentliche Hand zieht sich einfach aus der Erforschung und Pflege des kulturellen Erbes zurück und überlässt deren Finanzierung (und Umsetzung?) den Bürgern?
Oder wäre es vielleicht an der Zeit, eine zentrale, „öffentlich-private“ Institution nach dem Vorbild von English Heritage ins Leben zu rufen?

 

Fundstücke KW 45

Das Blog von Hiltibold aus Graz ist immer wieder eine ergiebige Quelle interessanter und spannender Beiträge und Überlegungen. Vergangene Woche hat er sich einmal mit den Darstellungen von Bogenschützen im Utrecht-Psalter beschäftigt.

Bei Hiltibold habe ich außerdem den Link zu dem folgenden Video entdeckt: Matt Easton von der Schola Gladiatoria aus London veröffentlicht auf YouTube regelmäßig sehr sehenswerte und anregende Videos zu historischen europäischen Kampfkünsten (HEMA), historischen Waffen oder auch zu deren Repräsentation in Film und Fernsehen.
Nun hat er sich auf gewohnt unterhaltsame Art mit dem leidigen Thema „Rüstungen in (pseudo-)historischen Fernsehserien wie z.B. VIKINGS“ auseinandergesetzt: Knitted chainmail and weird plate armour in movies and TV (auf Englisch).

Und wenn wir schon beim Thema sind: Unter traditionellen Bogenschützen sorgen gerade Bilder zum kommenden Multi-Millionen-Dollar-Spektakel „Exodus: Gods and Kings“ wie dieses für – je nach Temperament – Belustigung oder Verärgerung:

Christian Bale als Moses in "Exodus – Gods and Kings". (c) 20th Century Fox

Christian Bale als Moses in "Exodus – Gods and Kings". (c) 20th Century Fox

Der Grund? Der Bogen ist falsch herum aufgespannt! Das ist umso peinlicher, als er in anderen Szenen offenbar korrekt aufgespannt zu sehen ist. Allerdings ist das bei Weitem nicht das einzige historische Detail, das sich an der Produktion kritisieren ließe. Die Form des Bogens ist für die fragliche Zeit und Weltregion ebenso wenig belegt wie die des Schwert, von den Rüstungen für Menschen und Pferde, Bekleidungsdetails etc. ganz zu schweigen.
Aber anstatt zu sagen, wir haben hier einen Actionfilm produziert, der sich lose an gewisse Ereignisse aus der Bibel anlehnt, musste es ja mal wieder die „historisch korrekte“ Darstellung der Geschichte von Moses und dem Auszug aus Ägypten sein … An seinen eigenen Ansprüchen muss man sich eben messen lassen!

Auf das Crowdfunding-Projekt zur Veröffentlichung des multidisziplinären wissenschaftlichen Tagungsbands „Das Schwert – Waffe und Mythos“ hatte ich schon einmal hingewiesen. Die Finanzierungsplhase läuft noch bis zum 25. November, und noch immer fehlen mehr als € 1.000,-, um das Werk drucken zu können. Wer also noch ein gutes Werk vollbringen, junge Forscher ermutigen und unabhängige Forschung jenseits des Mainstreams unterstützen möchte, hat hier beste Gelegenheit dazu!

 

Fundstücke KW 37-42

Der Sommer ist zu Ende, es gibt endlich wieder spannende Nachrichten aus Geschichtsforschung und Archäologie zu vermelden!

Netzwerkanalyse als Mittel geschichtswissenschaftlicher Erkenntnis: Das ist das Konzept des Projekts „Mapping Medieval Conflicts“ (MEDCON), das von der Österreichen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) geördert wird. Aber, lieber derstandard.at: Netzwerkanalyse hat nichts, aber auch gar nix mit Facebook zu tun! „Facebook des Mittelalters“ – oh Mann …

Im Oktober 2012 veranstalteten drei NachwuchswissenschaftlerInnen an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg die interdisziplinäre Nachwuchstagung „Das Schwert – Symbol und Waffe“. Die Ergebnisse der Tagung sollen jetzt der Öffentlichkeit in einem Sammelband zugänglich machen. Zur Finanzierung der Druckkosten haben die drei Initiatoren eine Crowdfunding-Kampagne ins Leben gerufen: https://www.sciencestarter.de/das-schwert

Das Schwert - Symbol und Waffe

Das Schwert - Symbol und Waffe

Bei dem Anfang des Jahres vor Haiti entdeckten Schiffswrack handelt es sich doch nicht um die Santa Maria, das Flaggschiff Christopher Kolumbus‘, wie derstandard.at berichtet: http://derstandard.at/2000006474738/Unesco-Experten-Schiffswrack-vor-Haiti-ist-nicht-die-Santa-Maria

In Schottland ist ein Wikingerschatz gefunden worden, der offenbar in halb Europa zusammen geraubt wurde. Es handelt sich um den größten Hortfund seit 150 Jahren, wie Spiegel Online berichtet: http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/wikinger-in-schottland-wertvoller-schatz-entdeckt-a-997023.html

Cod.Guelf. 78.2 Aug.2° ist eine wohl zwischen 1465 und 1480 entstandene Sammelhandschrift, die u.a. Abschriften der „ZedelMeister Lichtenauers, des Gladiatoria-Fechtbuchs, des „Bellifortis“ Konrad Kyesers sowie weiterer Handschriften zum mittelalterlichen Kriegswesen enthält. Die stark beschädigte und vom Zerfall bedrohte Handschrift wurde nun digitalisiert und ist online frei zugänglich: http://diglib.hab.de/mss/78-2-aug-2f/start.htm

Die Zeit widmet sich in einem Artikel den Beginen und der Haltung der Kirche gegenüber diesen Frauen, die ein Ordensleben außerhalb der Orden zu verwirklichen suchten: http://www.zeit.de/zeit-geschichte/2014/03/beginen-kirche-christliches-leben

 

Crowdfunding: Die Zukunft geisteswissenschaftlicher Forschung?

Der Brite Spencer Gavin Smith möchte eine Dissertation zum Thema mittelalterliche Parks und Gärten verfassen. Zur Finanzierung der Arbeit vertraut er auf Crowdfunding, also freiwillige Spenden von Leuten wie Du und ich, die das Projekt unterstützenswert finden und im Rahmen ihrer Möglichkeiten Geld dafür locker machen. Auf www.gofundme.com hat er eine Seite eingerichtet, auf der mögliche Unterstützer Informationen zu seinem Vorhaben abrufen und ihren Beitrag zu seiner Finanzierung leisten können (außerdem betreibt er ein Blog).

2.000 Britische Pfund hofft der Historiker auf diese Weise zu gewinnen – eine moderate Summe, wenn man bedenkt, in welcher Höhe wissenschaftliche Dissertationen normalerweise durch Stipendien gefördert werden. Aber wie lange noch? Im Vergleich zu naturwissenschaftlicher Forschung führen die Geisteswissenschaften ohnehin ein Schattendasein. Die öffentlichen Mittel, die etwa jedes Jahr in die Geschichtsforschung fließen, dürften wahrscheinlich nicht einmal ausreichen, um einen einzelnen Forschungssatelliten ins All zu schießen oder einen Teilchenbeschleuniger länger als einige Stunden oder Tage in Betrieb zu halten. (Zugegeben, ich habe das jetzt nicht recherchiert oder ausgerechnet!)

Doch selbst die bescheidenen Mittel, die etwa der Erforschung unserer eigenen Vergangenheit zur Verfügung stehen, sind inzwischen beständiger Erosion ausgesetzt. Nordrhein-Westfalen hat den Anfang gemacht und beschlossen, die Förderung von Archäologie und Denkmalpflege bis 2015 auf Null zu reduzieren. Ungeachtet anderslautender Beteuerungen dürften ähnliche Erwägungen in anderen Bundesländern längst im Gange sein.

Spencer Gavin Smith ist längst nicht der Einzige. Auf Crowdfunding-Plattformen wie Kickstarter oder Indiegogo („Finanziere, was Dir wichtig ist!“) buhlen vermehrt junge Geisteswissenschaftler um private Finanzierung ihrer Forschungsvorhaben. Doch was bedeutet das – ist diese Bewegung Ausdruck und Folge einer Krise in der Finanzierung geisteswissenschaftlicher Forschung? Oder ein innovativer Ansatz, um die Öffentlichkeit  stärker in die Produktion und Ergebnisse geisteswissenschaftlicher Forschung zu integrieren? Kann so ein neues Interesse an den Humanities generiert werden oder leistet ein solches Vorgehen dem schleichenden Rückzug der öffentlichen Hand aus der Finanzierung geisteswissenschaftlicher Arbeiten unnötig Vorschub? Und besteht dann nicht die Gefahr, dass nur noch gefördert wird, was gerade en vogue ist und dem Geschmack der Massen entspricht?

Sollten Arbeiten in den Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften nicht der Allgemeinheit dienen, der Allgemeinheit zur Verfügung stehen und daher von der Allgemeinheit, sprich: der öffentlichen Hand finanziert werden? Oder ist es nur fair und richtig, der Allgemeinheit die Wahl zu lassen, welche Arbeiten sie mit welchem Betrag fördern möchte?

Zugegeben: Ich habe zu diesem Zeitpunkt auch keine Antworten. Die weitere Entwicklung bleibt abzuwarten …