William Gold ist zurück! Mit „The Green Count“ setzt eine der interessantesten Figuren der historischen Romanliteratur ihre in „The Ill-Made Knight“ und „The Long Sword“ begonnen Abenteuer fort. Die Handlung beginnt im November 1365 in Famagusta auf Zypern, schließt also unmittelbar an die realen historischen Ereignisse des zweiten Teils, die blutige, ruhmlose Eroberung Alexandrias an.
Verschiedene Fraktionen und Interessengruppen verfolgen in der wirren und verwirrenden Situation ihre eigenen politischen Interessen mit nicht immer durchschaubaren Absichten. Persönliche Intrigen und sogar Mordanschläge richten sich zugleich gegen die Hauptfigur, den zum Ritter und zum Donaten des Johanniterordens aufgestiegenen ehemaligen Goldschmiedlehrling, Dieb und Hilfskoch Sir William Gold, und seine heimliche Liebe, die jüngst verwitwete französische Adelige Emile de Herblay. Zu den Widersachern des jungen Paares zählt auch der titelgebende „grüne Graf“ Amadeus IV. von Savoyen, Lehnsherr der Comtesse von Herblay und einer der reichsten und mächtigsten französischen Grundherrn des 14. Jahrhunderts.
Doch ehe es zu einer Konfrontation kommt, leitet William Gold eine „bewaffnete Pilgerreise“ nach Jerusalem, wo er seiner Angebeteten das Ja-Wort gibt. Von dort geht es weiter nach Konstantinopel und schließlich nach Bulgarien, wo der byzantinische Kaiser Johannes V. – ein Vetter des grünen Grafen – gefangen gehalten wird. Die Geschehnisse – Belagerungen, Kämpfe, Plünderungszüge, Intrigen, Mordanschläge, nächtliche Kommandounternehmen, politische Ränke und vieles mehr – erzählt die Hauptfigur wie bereits in den vorangegangenen Romanen selbst 15 Jahre später in einer Schenke in Calais den Chronisten Jean Froissart und Geoffrey Chaucer, und er tut es auf die reflektierte, zuweilen distanzierte und stets selbstkritische Weise eine gealterten Mannes, der in seinem Leben Vieles gesehen, erlebt und verarbeitet hat.
Nimmt man allein die Abenteuer der ersten drei Chivalry-Romane zusammen, so war William Gold bei nahezu allen wichtigen politischen und kriegerischen Schauplätzen seit der Schlacht von Poitiers 1356 zugegen und an den Handlungen nicht selten aktiv beteiligt. Wengleich diese Fülle an Erlebnissen in der Realität wohl für weit mehr als ein Menschenleben ausreichen würde, erscheinen sie als Vita des fiktiven Helden hinreichend plausibel, zumal sie nicht spurlos an der Figur vorbeigehen, sondern eine anhaltende Selbstreflexion und charakterliche Entwicklung in Gang setzen, die man bei so vielen anderen historischen Romanhelden schmerzlich vermisst.
Das zentrale wiederkehrende Motiv ist die Frage nach der Definition von „Rittertum“ oder „Ritterlichkeit“ (engl. chivalry) oder einfacher und moderner ausgedrückt: Wie kann, wie muss sich ein Mensch gut und richtig verhalten in einer Welt, die allem Anschein nach vorrangig schlecht, gewalttätig, ungerecht und unmoralisch ist? Wie, unter welchen Umständen, lässt sich Gewalt legitimieren – und gegen wen? Ist ein „Ungläubiger“ von Ehre und Anstand stets weniger wert als ein „rechtgläubiger“ Verbrecher?
Der historische Hintergrund von Kreuzzügen, Spannungen zwischen west- und oströmischem Kaiserreich sowie zwischen römisch-katholischer und griechisch-orthodoxer Kirche, Machtkämpfen rings um das Mittelmeer, Hofintrigen und zahlreichen weiteren Details bietet genügend Anlass, sich solche(n) Fragen zu stellen. Einfache schwarz/weiß-Schemata sucht man in diesem Roman vergebens, der nach dem Guten strebende Gold sieht sich gezwungen, Gräueltaten zu begehen, und Widersacher wie der grüne Graf oder Sir Richard Musard zeigen sich durchaus zu noblen Gesten fähig. Zwar mag die Sicht des Helden auf Religion und die Gleichheit der Menschen zuweilen etwas modern erscheinen, wie der Autor im Nachwort selbst zugibt. Ganz ohne historische Beispiele ist sie allerdings auch nicht und als persönliche, reflektierte Lebenserfahrung durchaus nachvollziehbar.
Wie schon in den beiden vorangegangenen Bänden gelingt es dem kanadischen Autor Christian Cameron, die fiktiven Elemente seiner Geschichte mit den realen historischen Hintergründen und Figuren zu verknüpfen, ohne den einen oder den anderen Gewalt anzutun. Und erneut beeindrucken die unzähligen gründlich recherchierten oder sehr plausibel erdichteten Details, welche die Welt William Golds anschaulich und realistisch erscheinen lassen. Ohne Frage kommen dem Autor hier seine Erfahrungen als reenactor zugute: Wer bereits einmal in Wendeschuhen des 14. Jahrhunderts über losen Kiesboden gerannt ist, kennt das Problem, mit dem sich die Hauptfigur bei der Erstürmung eines Lagers konfrontiert sieht …
Camerons Kenntnisse in historischen europäischen Kampfkünsten (HEMA) machen sich auch im Realismus der Kampfszenen bemerkbar, wenngleich etliche der Waffengänge gar nicht näher geschildert werden: In einer Situation, in der es um Leben und Tod geht, setzt man sich eben so gut es geht zur Wehr und kann sich 15 Jahre später wohl kaum noch an die einzelnen angewandten Techniken erinnern.
LeserInnen, die sich selbst mit mittelalterlichen Kampfkünsten beschäftigen, dürften dafür an der Figur des (realen historischen) Fechtmeisters Fiore dei Liberi ihre Freude haben, den Cameron auf sehr liebevolle Art als eine Art frühen Schwert-Geek darstellt, der lieber über Beinarbeit und Gewichtsverlagerung beim Speerfechten sinniert als irgendwelchen Lastern zu frönen.
„The Green Count“ weist wieder einmal alle Elemente auf, die zu einem historischen Abenteuerroman gehören, und bietet spannende Unterhaltung auf mehr als 400 Seiten. Erneut gelingt es Christian Cameron, das 14. Jahrhundert in all seiner Widersprüchlichkeit lebendig werden zu lassen. Historische Schauplätze und Figuren, aber auch Aspekte des täglichen Lebens, Religion, Frömmigkeit und Aberglaube, Waffengebrauch, politische Verwicklungen und endlose weitere Details sind gründlich recherchiert und anschaulich geschildert.
Mit seiner Chivalry-Reihe setzt Cameron Maßstäbe im Genre des Mittelalter-Romans, und so erscheint es unverständlich, dass bislang noch keine der Geschichten um WIlliam Gold auf Deutsch erschienen ist. Aber die Reise des Helden ist noch lange nicht zuende, und vielleicht werden eines Tages auch LeserInnen, die des Englischen nicht mächtig sind, seine Abenteuer verfolgen können.
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