„Sed omnia in mensura et numero et pondere disposiuisti.“
„Du aber hast alles nach Maß, Zahl und Gewicht geordnet.“ Die Rede ist natürlich von Gott, denn diese Erkenntnis findet sich im Alten Testament, in den Weisheiten Salomons (11,20). Entsprechend wurde der Schöpfer seit dem 12. Jahrhundert gerne als deus geometer oder „vermessender Gott“ mit Messwerkzeugen wie Zirkel oder Winkel dargestellt.
Den Menschen allerdings sind die göttlichen Maße unbekannt. Sie sind in den Plan Gottes nicht eingeweiht und müssen versuchen, die Ordnung der Welt aus eigener Kraft zu entschlüsseln. Und für ihre alltäglichen Bedürfnisse müssen sie sich eigene Maße, Zahlen und Gewichte erschaffen.
Die ältesten Maßeinheiten wurden vom menschlichen Körper und der natürlichen Umwelt abgeleitet. Längen wurden in Ellen, Fuß oder Handbreit gemessen, Gewichte zum Beispiel in der Zahl der Pferde oder Esel, die zum Transport benötigt wurden. Morgen oder Tagwerk bezeichneten die Größe der Ackerflächen, die ein Ochsengespann in der entsprechenden Zeit pflügen konnte. Pfeilschuss, Steinwurf oder Tagesreise waren durchaus als konkrete Entfernungsangaben zu verstehen.
Im gesamten Römischen Reich galten einheitliche, festgelegte Maße, die jedoch nach seinem Untergang teilweise in Vergessenheit gerieten. Übernommen wurden aber einige Bezeichnungen wie libra (Pfund) oder uncia (Unze oder Zoll). Karl der Große bemühte sich zwar schon 793 um eine Normierung der in seinem Reich gebräuchlichen Einheiten, doch dieser Versuch scheiterte letztlich wie so viele spätere auch, und so zersplittert das deutsche Sprachgebiet im Mittelalter in politischer Hinsicht war, so unterschiedlich waren auch seine Maße.
Einheitliche Bezeichnungen – unterschiedliche Bedeutungen
Wenngleich die Bezeichnungen wie Pfund, Fuß, Scheffel oder Klafter weitgehend universell gebraucht wurden, konnten sich die Definitionen je nach Herrschaftsbereich zum Teil erheblich unterscheiden. Die Elle etwa, das gängige Maß für Tuche, war mehr oder weniger einheitlich definiert als Abstand vom Ellenbogen zur Spitze des ausgestreckten Mittelfingers. Die tatsächliche Länge schwankte allerdings zwischen ca. 50 und 85 cm. Nicht gerade vereinfacht wurde das System dadurch, dass etwa in der Tuch- und Handelsmetropole Köln zwischen Seiden-, Woll- und Leinwandellen unterschieden wurde. Im Groß- und Fernhandel sowie bei der Erhebung von Steuern und Zoll wiederum wurden nicht Stoffbahnen gemessen, sondern die Tuchballen gewogen.
Die einzelnen Maßeinheiten standen in ganzzahligen Verhältnissen zueinander. Ein Klafter, die Spannweite der Arme eines erwachsenen Mannes, entsprach drei Ellen oder sechs Fuß, auf einen Fuß kamen zwölf Zoll. Bei den Gewichten hatte Karl der Große die karolingische Unze auf 16 Denar Silber festgelegt, was 27,216 g entsprach. Das Verhältnis der Einheiten zueinander blieb zwar während des gesamten Mittelalters bestehen, doch der schwankende Silberanteil späterer Münzen sorgte für Abweichungen im tatsächlichen Gewicht. Auf eine Unze kamen zwei Lot, das Münzpfund fasste 15, das Handelspfund hingegen 16 Unzen. Die römische libra war im Gegensatz dazu zwölf unciae schwer gewesen, und dieses Verhältnis galt auch später noch für das Apothekerpfund und das Kölner Pfund, das wiederum zwei Mark Silber entsprach.
Der Zentner (von lat. centum = hundert) sollte eigentlich per Definition 100 Pfund fassen, tatsächlich konnten es aber bis zu 128 Pfund sein. Noch größer fielen die Abweichungen bei Großgewichten wie Schiffpfund, Tonne, (Schiffs-) Last, Wagen oder Saum aus. Daher finden sich in städtischen und kaufmännischen Aufzeichnungen noch bis ins 19. Jahrhundert Angaben wie diese aus Königsberg:
„in der stadt czu Ryge [Riga] 4 schiff […] wachs machen hir im Lande volkomen 5 schyff“.
Die Einheiten Tonne oder Fass waren auch davon abhängig, ob z.B. Heringe, Bier, Wachs oder Getreide transportiert wurde. Die Definition beruhte meist auf dem Verhältnis vom Volumen des jeweiligen Guts zu seinem spezifischen Gewicht, so dass diese Maßeinheiten sowohl für Masse als auch als Hohlmaß verbreitet waren. Der Saum, auch Ohm oder Ahm genannt, bezeichnete ursprünglich die Last, die ein Tragtier auf seinem Rücken befördern konnte, und lag bei etwa 120 kg für einen Esel und 136 kg beim Pferd, was wiederum einem Volumen von rund 134 l bzw. 151 l Öl entsprach. Sie wurde auf zwei seitlich angebrachte gleichschwere Behälter, die Lägel, verteilt – zwei Lägel ergaben also einen Saum.
Eichmaße und städtische Maßstäbe
Das Recht, Maße und Gewichte festzulegen, war wie das Münzregal ein wichtiges Herrschaftsinstrument, das sich Territorialherren und Städte nicht gern aus der Hand nehmen ließen. So scheiterte etwa die Hanse daran, einheitliche Größen für Tonnen und Fässer vorzuschreiben, da viele Städte auf ihren Eigenheiten beharrten und diese geradezu als Markenzeichen zu etablieren versuchten.
Im Lehnswesen war die Höhe der Abgaben der Hörigen durch den Grundherrn festgelegt. Streit gab es allerdings zuweilen darüber, ob z.B. der Scheffel Getreide gestrichen oder gehäuft bemessen werden sollte. Einheitliche Maße und Gewichte innerhalb eines Herrschaftsbereichs waren außerdem Grundlage für die Festsetzung von Steuern und Zoll. Mit der zunehmenden Bedeutung des Handels seit dem Hochmittelalter wurde auch ihre Normierung immer wichtiger. Auch die im Spätmittelalter immer umfangreicheren Preistaxen setzten feste Größen der taxierten Waren voraus. Daher finden sich seit dem 13. Jahrhundert vermehrt Zeugnisse für die obrigkeitliche Regulierung von lokal oder regional verbindlichen Maßeinheiten, in schriftlicher oder auch bildlicher Form oder ganz konkret in Form von Maßstäben, Normgefäßen oder Gewichtsstücken. Die Festsetzungen waren oft Bestandteil des Markt- oder Stadtrechts und konnten mit diesen zusammen an andere, neu gegründete Städte weiter gereicht werden.
Die Einhaltung der vorgeschriebenen Maße und Gewichte wurden von städtischen Bediensteten, den Eichmeistern überwacht, auch im Rahmen der Qualitätskontrolle im Handwerk („Beschau“). Große Handelsstädte wie Amsterdam, Köln oder Lübeck verfügten im Spätmittelalter oft über mehrere Eichmeister, die für einzelne Maße oder Gewichte bzw. Warengattungen zuständig waren, etwa unterschiedliche Verantwortliche für Bier, Wein, Woll- oder Seidentuche.
Normierte Gefäße und Gewichte wurden im Rathaus oder der städtischen Markthalle vorgehalten, wo sich auch die Stadtwaage befand. Zudem waren häufig an den Außenmauern der Stadt- oder Marktkirche, des Rathauses oder zuweilen auch am Marktbrunnen Normmaße wie Elle oder Fuß aus Metall angebracht oder in den Stein gemeißelt. Am Freiburger Münster finden sich sogar die festgesetzten Größen der Brotlaibe dargestellt. So konnte jeder Verbrauer unmittelbar überprüfen, ob die gekaufte Ware korrekt bemessen worden war, und Handwerker konnten anhand der Vorlagen zum Beispiel eigene Messstäbe für den Werkstattgebrauch anfertigen.
Normierte Messgefäße wurden im Spätmittelalter von Kleinböttchern oder Simmermachern hergestellt. Das Simmer, Simri oder Sömmer war ein Hohlmaß (ca. 25-35 l), das vor allem für trockenes Schüttgut wie Getreide, Salz, Mehl oder Hopfen verwendet wurde. In dieser Funktion entsprach es dem anderswo gebräuchlichen Scheffel, der seinen Namen vom „Schaff“ herleitet, einem hölzernen Behälter ohne Deckel, der oben breiter war als unten. Zwölf Scheffel ergaben einen Malter (auch Malt oder Molt). Vergleichbare Gefäße und damit Raummaße für Flüssigkeiten, die regional sehr stark abweichen konnten, waren Eimer, Zuber oder Bottich.
Ein Fuder Wein konnte je nach Region zwischen zwölf und 60 Eimer fassen und entsprach damit etwa 860 l in Frankfurt oder knapp 2000 l in Böhmen. Als Getreidemaß dagegen wurde der Fuder meist zu 32, 36 oder 60 Scheffel gerechnet. Als Heumaß wiederum bezeichnete ein Fuder die Ladung eines zweispännigen Wagens und galt daher auch als Flächenmaß: auf einer Wiese von zwei Fudern konnten zwei Wagenladungen Heu gemäht werden.
Aus Boppard ist ein bronzenes Sömmergefäß (vor 1327) erhalten, dessen Inschrift darauf hinweist, das es zur Urteilsfindung in Streitfällen verwendet wurde:
„Vme ein rechte beshedieit So vordi dusse svmeri bereit ume rechte sachge so dadi mirse machi“
(„Um des rechten Bescheidwissens willen wurde diese Sömmer hergestellt; um eines gerechten Urteils im Streitfall willen haben wir sie machen lassen.“)
Nach der Landshuter Markt- und Gewerbeordnung von 1256 durfte kein Kleinböttcher (picator) ein Messgefäß herstellen, das nicht den städtischen Vorgaben entsprach. Wer zuwider handelte, hatte 60 denarii (Pfennige) zu zahlen – das entsprach dem Wert von rund 60l Wein oder 6 Ellen besten Wollstoffs – und bekam die Finger abgeschlagen!
Empfindliche Strafen bis hin zum Zunftausschluss galten auch für das (wiederholte) falsche Bemessen oder Abwiegen von Waren.
Ein mittelalterlicher Handwerker tat also gut daran, die gängigen Maße zu kennen, insbesondere dann, wenn er in einen anderen Herrschaftsbereich eintrat. Zudem musste man wissen, dass z.B. Wein in Eimer und Fuder, Bier in Eimer und Fass, Schüttgut dagegen in Scheffel oder Simmer bemessen wurde. Im Bauhandwerk wurde meist in Klafter, Elle und Fuß gemessen, andere Holzhandwerker benutzten dagegen Elle, Spanne und Hand. Ein Klafter Brennholz wiederum bezeichnete einen Stapel von je einem Klafter Höhe und Breite, jedoch nur drei Fuß oder einem halben Klafter Länge, entsprach also nur einem halben Kubikklafter.
Einige Waren wurden weder gemessen noch gewogen, sondern nach Stück, Paar, Dutzend, Stiege (zwei Dutzend) oder Schock (5 Dutzend = 60 Stück) gezählt. Das Papierhandwerk entwickelte im 14./15. Jahrhundert seine eigene Zählweise: 181 Bogen bildeten eine Pauscht, ein Ries entsprach 480 Bogen oder 20 Buch, der Ballen enthielt 20 Ries.
Zählen und rechnen
Bis ins 12. Jahrhundert wurde ausschließlich das römische Zahlensystem verwendet, das sich möglicherweise von der menschlichen Anatomie ableitete: Ein Finger = I, zwei Finger = II, drei Finger = III, die Hand mit abgespreiztem Daumen = V, zwei Hände = X. Hinzu kamen C für 100 (lat. centum), das L als halbes C für 50, M für 1000 (lat. mille) und D (von lat. demi = halb) für 500. Die römischen Zahlzeichen wurden allerdings nicht zum Rechnen, sondern nur zur schriftlichen Wiedergabe von Zahlenwerten benutzt.
Der eigentliche Rechenvorgang geschah am Rechenbrett, Rechentisch oder mit Hilfe eines Rechentuchs. Darauf befanden sich Linien für Einer, Zehner, Hunderter und Tausender, die Räume dazwischen repräsentierten Fünfer, Fünfziger und Fünfhunderter. Mit Hilfe von Steinchen (lat. calculus, daher calculare = rechnen) oder Münzen, sogenannten Raitpfennigen, wurden die Werte auf Linien und Zwischenräumen ausgelegt, die Rechenoperationen erfolgten durch entsprechendes Verschieben. Ähnlich funktionierte das Rechnen mit dem Abacus oder Rechenrahmen, der ebenfalls bis ins 16. Jahrhundert im Gebrauch war.
Der sprichwörtlich gewordene Bamberger Rechenmeister Adam Ries (1492/93-1559) veröffentlichte 1518 eine Anleitung zu dieser Rechenmethode namens „Rechnung auff der linihen“. Eine überarbeitete Neuausgabe erschien vier Jahre später unter dem Titel „Rechenung auff der linihen und federn“ und beschrieb neben dem Rechnen mit dem Rechenbrett auch den Umgang mit den sogenannten arabischen, eigentlich aus Indien stammenden Ziffern. Das Werk wurde bis ins 17. Jahrhundert mindestens 120 mal neu aufgelegt und begründete Ries’ Ruhm als Rechenmeister.
Die Übernahme der arabischen Ziffern und damit des Dezimalsystems vereinfachten das Zählen und Rechnen erheblich, durch die Einführung des Kommas und der Null ließen sich nun auch Bruchteile von Werten exakt angeben. Doch obwohl das System bereits seit dem späten 10. Jahrhundert im maurischen Spanien bekannt war, dauerte es bis ins 15./16. Jahrhundert, bis es sich allgemein durchsetzen konnte. Die römischen Buchstabenziffern wurden seither praktisch nur noch zur Angabe von Jahreszahlen verwendet.
Das sprichwörtliche Quentchen Glück …
Ein Quint, Quentchen oder Quentlein (von lat. quintus = der fünfte) war der fünfte Teil des Lots und entsprach dem Gewicht von vier Pfennigen (denarii). Der Skrupel (lat. scrupulus = spitzes Steinchen) war ebenfalls ein Kleingewicht, der dritte Teil eines Quentchens, das hauptsächlich von Apothekern verwendet wurde. Wer skrupellos war, dem fehlte also das rechte Maß in dem, was er tat. Noch kleiner war das Gran (von lat. granus = Korn), ursprünglich das Gewicht eines einzelnen Gerstenkorns, von dem 20 auf einen Skrupel kamen. Die Redewendung, etwas mit einem Gran Salz zu nehmen, stammt allerdings vom lateinischen „cum grano salis“ und bezieht sich auf das einzelne Salzkorn. Wer dagegen Geld scheffelt, kann gar nicht genug davon bekommen, und „unter einem Fuder Heu erstickt keine Maus“.
Obrigkeitliche Versuche des 18. Jahrhunderts, das Messwesen zu vereinfachen und zu vereinheitlichen, scheiterten überwiegend aus politischen Gründen und dem Festhalten der Bevölkerung an den althergebrachten Maßen. Abhilfe schaffte erst die Einführung des metrischen Systems in den Rheinbundstaaten 1806 und schließlich 1872 für das gesamte Reich. In Großbritannien hingegen, wo das metrische System zumindest offiziell ebenfalls Gültigkeit besitzt, wird bis heute in inch (Zoll), feet und yard gemessen, in pound und stone gewogen.
Literatur:
- Gisela Möncke (Hg.): Quellen zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte mittel- und oberdeutscher Städte im Spätmittelalter, Darmstadt 1982.
- Wolfgang Trapp: Kleines Handbuch der Maße, Zahlen, Gewichte und der Zeitrechnung, 3. Auflage, Stuttgart 1998.
- Fritz Verdenhalven: Alte Maße, Münzen und Gewichte aus dem deutschen Sprachgebiet, Neustadt/Aisch 1968.
Eine frühere Fassung dieses Beitrags erschien 2011 in: Karfunkel Codex 9: Altes Handwerk, S. 44-46.
Hallo Jan H. Sachers
In Regensburg, altes Rathaus, sind die Maße noch angeschlagen…..
Mit histofakt.de ist ein richtiger Fundus geschaffen.
Gibt es Veröffentlichungen von bestimmten Maßen die Regional oder überregional
abweichen. (Bsp. Italienische Elle, Schweizerische Elle etc)
Ich würde gerne mehr erfahren über die Art und Weise, wie die Maße abgeolt
wurden um in der eigenen Region anzuwenden/ zu übertragen.
mfg, karl_heg, Bay-Wald