Die Reihe „Kleidung & Waffen“ von Ulrich Lehnart genießt seit Erscheinen des ersten Bands zur Früh- und Hochgotik 1998 unter rüstungs- und kostümhistorisch interessierten Leser*innen, Geschichtsdarsteller*innen und Schneider*innen mittelalterlicher Kleidung einen guten Ruf. Von den ehemals drei Bänden zur Spätgotik ist leider nur noch der letzte lieferbar, die vergriffenen Exemplare werden gebraucht z.T. zu fantastischen Preisen gehandelt. Die „Früh- und Hochgotik 1150-1320“ ist seit einigen Jahren als überarbeitete Neuauflage erhältlich.
Nun ist nach 15 Jahren Wartezeit endlich der erste Teil des abschließenden Bandes zur Dürerzeit oder beginennden Renaissance erschienen – erstmals nicht bei Karfunkel, sondern im Zeughaus-Verlag. An der bewährten Aufmachung hat sich nichts geändert, inhaltlich werden Kleidung, Rüstung und Waffen der Landsknechte, Reisläufer, Ritter und Reisigen behandelt.
Der gewählte, mit 50 Jahren recht lange Betrachtungszeitraum von 1480 bis 1530 ist eine Zeit der Umbrüche in vielen Bereichen des Lebens: Religion, Politik, Kultur, Mode und auch Militär. Die Phase markiert in Mitteleuropa den Übergang vom Mittelalter zur Renaissance, den Beginn der Reformation, das Aufkommen der Zentralperspektive in der Kunst, die zunehmende Verbreitung von Pulverwaffen, den Niedergang der schweren Kavallerie und Aufstieg der Infanterie und vieles mehr.
Der Umfang des Buches scheint diesem Umstand Rechnung zu tragen: Mit mehr als 260 Seiten ist das Werk rund 100 Seiten dicker als der Vorgänger zur Spätgotik. Ungefähr das erste Dritte ist der Kleidung der Landsknechte, Reisläufer und Trossfrauen gewidmet, von der Unterwäsche bis zu Kopfbedeckungen und Accessoires, mit besonderem Blick auf das Aufkommen der Schlitzmode. Der Autor scheut sich nicht, überkommende Datierungen in Frage zu stellen, und er liefert etliche Bildbelege, die seine Ansichten stützen. Besonders erfreulich ist die ausgiebige Verwendung der Skizzen Paul Dolnsteins, eines Zeitgenossen und Augenzeugen, dessen Aufzeichnungen bislang zu wenig Beachtung gefunden haben.
Überhaupt ist es die Akribie, die Lehnarts Arbeit auszeichnet: Die fast 240 Abbildungen umfassen zeitgenössische Illustrationen und andere Kunstwerke sowie Farbfotos zahlreicher Museumsstücke, auf ähnlich viele weitere Bildbelege wird im Text verwiesen. Die Materialfülle allein macht den Band zu einer wertvollen Referenz und einem nützlichen Nachschlagewerk!
Der zweite Teil, den Rüstungen gewidmet, glänzt vor allem durch hochwertige Fotografien von erhaltenen Harnischen sowie von detailgetreuen Rekonstruktionen namhafter Plattner. Sehr penibel zeichnet Lehnart hier die Entwicklung der Körperpanzerung in ihren technischen und modischen Veränderungen nach und kann erneut einige lang etablierte und immer wieder kopierte Mythen und Irrtümer richtigstellen.
Vergleichsweise knapp werden auf 50 Seiten abschließend die Angriffswaffen behandelt. Hier nimmt der Reisspieß, die Reiterlanze den größten Raum ein – zu Recht, denn deren Herstellung und Verwendung wurde, vor allem im Vergleich zu den zeitgleichen Turnierlanzen, in der Forschung bislang recht stiefmütterlich behandelt. Langspieße, Hellebarden und sonstige Stangenwaffen als wichtigste Waffengattung der Landsknechte und Reisläufer werden knapper, aber hinreichend detailliert beschrieben, ohne dass sich der Autor auf das dünne Eis ihrer Klassifikation begibt. Dolche und (stumpfe) Hiebwaffen finden ebenfalls Erwähnung.
Dass gerade die Schwerter vergleichsweise summarisch abgehandelt werden, ist verständlich, denn zum einen nahm ihre Bedeutung als Kriegswaffe im Betrachtungszeitraum ab, zum anderen werden sie seit einigen Jahren in etlichen Monographien und Ausstellungskatalogen bereits ausgiebig gewürdigt. Allein die Entwicklung des ikonischen Katzbalgers (der, wie Lehnart ganz richtig schreibt, ganz definitiv NICHT in Katzenfellen transportiert wurde!) wird detaillierter geschildert.
Neben den erwähnten Illustrationen enthält der Band wieder 20 vom Autor geschaffene Farbtafeln mit Kleidungsensembles, Schnittvorlagen, Waffentypen, Varianten von Riefeln und Kehlungen an Harnischen u.ä.
Lehnarts Texten ist die intensive Recherche, Studium der Kunstwerke, Rezeption von Fachliteratur, Forschung an Originalen und Rekonstruktionen sowie eigene Erprobung anzumerken. Der Autor präsentiert geballtes Wissen auf verständliche und nachvollziehbare Weise und schafft den Spagat, sich einerseits nicht zu sehr in Details zu verlieren, andererseits Oberflächlichkeiten zu vermeiden.
Der Anhang umfasst nicht weniger als 420 Endnoten, Bildnachweise und Bibliographie. Etwas ärgerlich ist, dass nicht alle im Text zitierten und/oder in den Endnoten angegebenen Titel Eingang in das Literaturverzeichnis gefunden haben. Schmerzlicher ist allerdings noch das Fehlen eines Sachregisters, um das Auffinden bestimmter Textstellen zu erleichtern. Ein Glossar hätte dem Werk ebenfalls gut getan, denn nicht alle Leser*innen werden mit den zahlreichen Fachbegriffen im Zusammenhang mit Rüstungen vertraut sein.
Von diesen kleineren Mängeln abgesehen ist „Kleidung & Waffen der Dürerzeit I“ ein weiterer rundum gelungener Band der Reihe. Einsteiger*innen in die Materie finden umfassende, hinreichend detaillierte Informationen, sollten allerdings ggf. ein Wörterbuch oder Zugang zu einer Online-Enzyklopädie parat haben, um gewisse Fachbegriffe nachschlagen zu können. Für Expert*innen liefert Lehnarts neuestes Werk eine kompakte Zusammenfassung des aktuellen Wissensstands sowie ein reichhaltiges Bildarchiv. Beiden Gruppen kann die Anschaffung daher nur empfohlen werden.
Zu hoffen bleibt nun, dass der zweite Teil der „Dürerzeit“ mit der adeligen, bürgerlichen und bäuerlichen Kleidung sowie der Waffen bürgerlicher und bäuerlicher Aufgebote einschließlich der Handbüchsen und Armbruste nicht erneut Jahre auf sich warten lässt, und dass auch die vergriffenen Bände zur Spätgotik bald in überarbeiteter Form erscheinen können!
Berlin: Zeughaus-Verlag 2021. Geb., 264 S., 238 Abb., 20 Farbtafeln. ISBN 978-3-96360-030-2. € 34,95.
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