Auf einem öffentlich-rechtlichen deutschen Fernsehsender läuft ein „Doku-Drama“ über die Wirtschaftswunderjahre. In einer Szene sehen wir Konrad Adenauer, wie er mit seinem Smartphone den amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy anruft. Der Bundeskanzler wird standesgemäß in einem Citroën Traction Avant 11CV kutschiert, sein Wirtschaftsminister Ludwig Erhard hingegen bevorzugt einen Porsche 911. Überhaupt mag es der CDU-Politiker sportlich: er nimmt gerne in Jeans und Turnschuhen an den Sitzungen des Bundestags teil und spielt in seiner Freizeit Ballerspiele am Computer …
Das klingt unglaublich? Unvorstellbar? Unmöglich? Nun, würde eine solche Sendung tatsächlich ausgestrahlt, hagelte es mit Sicherheit Proteste, andere Medien würden den „Skandal“ wahlweise hämisch oder mitleidig ausschlachten und der verantwortliche Programmchef dürfte sich wohl einen neuen Job suchen müssen.
Doch aller Wahrscheinlichkeit nach würde sich keine Produktion über die 1950er Jahre jemals solche groben Fehler erlauben – und falls doch, dann würde sie zumindest niemals zur Ausstrahlung gelangen.
Ersetzen wir jedoch den historischen Zeitrahmen „Wirtschaftswunderjahre“ durch „Mittelalter“, dann stellen vergleichbare Fehler und Anachronismen den traurigen und ärgerlichen Normalfall dar! Da tragen die Paladine Karls des Großen Langschwerter, die wahlweise einem Fechtmeister des 14. Jahrhunderts (was sind schon 600 Jahre?) oder einem italienischen Low Budget-Fantasyfilm alle Ehre gemacht hätten. Frühmittelalterliche Mönche wandeln durch gotische Kreuzgänge, eine angebliche karolingische Königspfalz verfügt zwar über Glasfenster, aber über kahle Wände und Fußböden. Bischöfe ziehen im vollen Weiheornat in den Krieg.
Wenn Hollywood die Geschichte der Johanna von Orleans, von Robin Hood, King Arthur oder eines jungen Schmieds auf Kreuzzug verfilmt, wenn die historischen Figuren der Tudors, der Borgias oder eines Spartacus‘ das Personal einer Fernsehserie abgeben, dann weiß der aufgeklärte Zuschauer, was er zu erwarten hat: auf Hochglanz polierte, im Idealfall spannende und intelligente Unterhaltung – eine an historische Ereignisse angelehnte dramatische Inszenierung, aber gewiss keine Nachhilfestunde in Geschichte. Manche Ausstattungsfehler, Anachronismen oder „Korrekturen“ an den realen bzw. überlieferten Ereignissen mögen die Geschichtsenthusiasten kurz im Kino- oder Fernsehsessel zusammenzucken lassen. Doch wozu gibt es künstlerische Freiheit? Aufgabe von Spielfilmen und Fernsehserien ist nun mal Unterhaltung, nicht historische Aufklärung.
Wenn jedoch ein gebührenfinanzierter öffentlich-rechtlicher Sender mit Bildungsauftrag eine „historische Dokumentation“ oder ein „Doku-Drama“ zu einem mittelalterlichen Thema ankündigt, dann sollte man zumindest erwarten dürfen, dass die erforderlichen Recherchen mit dem nötigen Ernst betrieben und ihre Ergebnisse auch und gerade hinsichtlich der Ausstattung umgesetzt werden. An entsprechender Literatur herrscht ja nun wahrlich kein Mangel. Zeitgenössische Text- und vor allen Dingen Bildquellen liegen ebenfalls in hinreichender Zahl vor. Originale Artefakte sind in Museen und Sammlungen verfügbar, und seit etlichen Jahren bietet eine wachsende Szene „historischer“ Handwerker Rekonstruktionen historischer Kleidung, Werkzeuge, Waffen und anderer Ausstattungsgegenstände in höchster Qualität.
Selbstverständlich ist das Mittelalter und insbesondere seine Sachkultur noch keineswegs abschließend erforscht. Unsicherheiten, Forschungslücken, Interpretationsspielräume und widerstreitende Lehrmeinungen sind das täglich‘ Brot des Mediävisten – doch machen nicht zuletzt diese die Auseinandersetzung mit der Epoche so spannend? Und lassen sie sich nicht im Rahmen einer Fernseh-Dokumentation hervorragend thematisieren?
Die Argumentation (lies: Ausrede), bei den gewählten Gegenständen wie Schwertern, Helmen, Rüstungen handele es sich lediglich um „symbolische Repräsentationen“, läuft ins Leere: Genauso gut lassen sich schließlich Porsche 911 oder Citroën 11CV als „symbolische Repräsentationen“ des Objekts „Auto“ rechtfertigen. Was also ist der wahre Grund für solche ärgerlichen, irreführenden und vor allen Dingen unnötigen Patzer – Nachlässigkeit? Desinteresse? Die Hoffnung, es werde schon niemandem auffallen?
Besonders ärgerlich sind solche Fälle immer dann, wenn Spielszenen in eindeutigem Widerspruch zu den Aussagen der zuvor zitierten Historiker stehen. Das Wissen ist also vorhanden – warum wird es nicht bildlich umgesetzt?
Immer wieder gerne wiederholt wird dann die Argumentation (lies: Ausrede), bei solchen Fernsehdokumentation handele es sich um „niederschwellige Angebote“ für interessierte Laien, gewissermaßen um Appetithäppchen, die einen ersten Einstieg in das Thema erleichtern sollen. Geschichte müsse spannend und nachvollziehbar präsentiert werden – als stellten Spannung und Authentizität einen Widerspruch dar! Wenn ich einem technischen Laien die Funktionsweise eines Computer erklären will, erzähle ich ja auch nicht erst einmal etwas von winzigen Gnomen, die in dem Gehäuse hin und her flitzen, nur weil das spannender ist als elektrische Impulse, die Schalter wahlweise auf 0 oder 1 stellen – in der Hoffnung, er werde sich durch meine unterhaltsame Erzählung zur Lektüre von Fachliteratur bewegen lassen.
Gerade Fernsehmacher sollten wissen, wie wirkmächtig Bilder sind. Sie sind es, die den Zuschauern langfristig im Gedächtnis bleiben und die dort mitunter Schäden anrichten, die im Nachhinein schwer zu beheben sind. Das wird spätestens dann offenbar, wenn Museumsbesucher die realen Ausstellungsstücke in Zweifel ziehen, weil das bei Dr. Guido Knopp ganz anders aussah, oder selbst Geschichtsstudenten im Grundstudium die „Terra X“-Folge vom Vortag als Beleg für Ausstattungsmerkmale der Wikinger heranziehen.
Das Interesse an Geschichte und insbesondere am Mittelalter ist groß, das zeigen nicht zuletzt die Einschaltquoten entsprechender Sendungen, der noch immer wachsende Markt historischer oder historisierender Romane, die Beliebtheit von „Mittelalter“-Märkten und auch die Besucherzahlen einschlägiger Ausstellungen. Doch auch und gerade interessierte Laien haben es verdient, mit akkuraten Informationen auf dem aktuellsten Stand der historischen Forschung konfrontiert zu werden. Das gilt umso mehr für die Bilder und Spielszenen, denen andernfalls höchstens die Rolle als bunte, teuer inszenierte Jahrmarktattraktionen zukommt, was letztlich den ganzen mit ihnen betriebenen Aufwand ad absurdum führt.
Hinweis: Weitere interessante Auseinandersetzungen mit „Geschichte im deutschen Fernsehen“ finden sich z.B. hier und hier.
Dass es auch anders geht – sogar ganz ohne Text und Interviewpartner – zeigt diese Inszenierung von Bildern aus dem Luttrell-Psalter.
Ich glaube, daß da mehrere Faktoren zusammenkommen.
Es ist den meisten Konsumenten solcher „Dokumentationen“ höchstwahrscheinlich völlig egal, wie authentisch die Ausstattung der Schauspieler ist.
Deshalb macht es für die Verantwortlichen auch keinen Sinn, Geld und Manpower in Recherche und Beschaffung zu investieren. Das ist bei den Spezialeffekten nämlich aus ihrer Sicht wesentlich besser angelegt. Den eindrucksvolle, dramatische, Bilder bringen Quote.
Die ganze Diskussion zur Qualität von Darstellungen und Dokumentationen krankt meiner Meinung nach zu einem großen teil daran, daß sich die Szene der guten und professionellen Reenactors und Handwerker selber in die Tasche lügt was ihre Wahrnehmung in der Öffentlichkeit angeht.
Es gibt kein massiv gesteigertes Interesse am Mittelalter.
Es gibt jedoch ein massiv gesteigertes Interesse am MIttelalterspektakel.
Ritterturnier, Fackelschein und Tavernenspiel – Das sind die Eckpunkte des Interesses.
Meiner Meinung nach ist das schön zu sehen, wenn man die Reenactmentmesse in der Villa Borg mit einem x-beliebigen Mittelaltermarkt auf der grünen Wiese vergleicht.
In der Villa Borg habe ich eine hochklassig besetzte Veranstaltung, fachkundige Handwerker und Aussteller der Extraklasse, Fachvorträge, eine restaurierte Römervilla als Ambiente und eine moderne Infrastruktur.
Dennoch zieht der beliebig austauschbare Mittelaltermarkt auf der grünen Wiese mit Aasbräterei, Lederhosenrittern und Papphelmen für Kids mit Sicherheit 10mal mehr Besucher.
Denn da wird das geliefert, was eigentlich gewünscht wird – Action, Abenteuer Karneval.
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Der Kommentar spricht mir aus der Seele, da er den Finger auf die Probleme legt, die mir bei meiner Arbeit alltäglich begegnen. Inzwischen ist es soweit, das selbst Historiker oft kein klares Bild davon haben wie die jeweiligen epochen eigentlich aussahen und grobe Fehler gar nicht bemerken.
Ich war auch selbst schon als Statist bei Fernsehproduktionen und die Arbeitsweise dort war haarsträubend. Nicht das es keine wissenschaftlichen Berater gegeben hätte, aber die waren letztlich das Problem, da ihnen die Kenntnisse der Sachkultur völlig fehlten.
Aber es wäre zu kurz gegriffen, die Medien als Alleinverantwortlichen hinzustellen. Ein Blick in die einschlägige Kinder- und Jugendliteratur und schlimmer noch die Schulbücher zeigen, dass der dortigen Verwendung von Bildmaterial jeglicher Sachverstand abgeht, gabz abgesehen von modernen Geschichtsdidaktischen Erkenntnissen.
Solange das der Zustand der medialen Geschichtspräsentation ist, werden wir es mit hochwertigeren Veranstaltungen und Angeboten schwer haben. Für jemanden der davon leben will, wie mich, ist das sehr demotivierend.
In diesem Zusammenhang empfehle ich immer gerne die britische Serie „A History of Britain“ von Simon Schama, produziert von der BBC. Ich habe noch keine deutsche Dokumentation gesehen, die an sie heranreicht.
Die Serie ist auf Youtube verfügbar.
„,Niederschwellige Angebote‘ für interessierte Laien“ – das trifft es. Dann könnte man natürlich auch Donald Ducks Abenteuer im Entenhausen-Mittelalter als Bildungs-TV verkaufen. Ich denke mal, es liegt daran, dass die Redakteure irgendwelche Werbefuzzi-Agenturen und Locationscouts mit Auwahl, Aufbau des Sets und der Ausstattung der Komparsen beauftragen, Hauptsache es sieht „irgendwie schön mittelalterlich“ aus und die RTL2-verwöhnte Jugend merkt nicht sofort, dass es auch um Wissensvermittlung („iiiiiiieh, Geschichte!“) geht. Das gilt in deren Augen schon als authentisch, wenn niemand sichtbar Uhr oder Handy trägt.
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Ich habe mir gerade den Psalter-Film angesehen und obwohl ich Ihnen zustimme, dass die Darstellung auf dem Bildschirm manchmal haarsträubend ist und die Ausreden der Redakteure ebenso haarsträubender Unsinn, ist dieser Film sicherlich nicht die Lösung. Ich fand ihn zwar ganz interessant, aber ich habe auch Vorkenntnisse und schon bestehendes Interesse. Die ständigen Einblendungen von Natur und Idylle haben den Film unnötig in die Länge gezogen und die Musik war etwas atonal und gelegentlich nervtötend. Es war sicher eine Menge Arbeit diesen Film zu machen, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass man damit ein breites Publikum erreicht. Dafür ist er einfach zu langweilig.
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