„Die Kunst des klassischen Bogenschießens“
Das Wichtigste – oder die Warnung – vorweg: Dies ist kein Lehrbuch des traditionellen, intuitiven, instinktiven, klassischen oder wie-auch-immer genannten Bogenschießens! Anfänger werden an dem Werk wahrscheinlich wenig Freude haben, erfahrene Bogenschützen hingegen erhalten viele nützliche Tipps und Anregungen, die dazu motivieren, den eigenen Schießstil und das regelmäßige Training einmal gründlich zu analysieren und zu überdenken.
Byron Ferguson ist einer der besten und (zumindest in den USA) bekanntesten traditionellen Bogenschützen der Gegenwart. In seiner Heimat tritt er regelmäßig in verschiedenen Fernsehsendungen wie „Stan Lee’s Superhumans“ auf. Seine wirklich beeindruckenden Fähigkeiten führt er außerdem auf diversen Messen sowie Benefiz- und anderen Veranstaltungen vor, gelegentlich auch in Europa. Auf bekannten Videoportalen im Internet finden sich zahlreiche Clips die ihn beim Zerteilen einer Spielkarte oder beim Treffen einer Aspirintablette zeigen.
Zumindest hierzulande weniger bekannt ist, dass Ferguson auch seit Jahrzehnten leidenschaftlich und erfolgreich mit dem Bogen auf Jagd geht. Dabei bedient er sich (mit Ausnahme der Pfeile) der gleichen Ausrüstung und Technik, die er auch beim Scheiben-, 3D- oder Trickschießen verwendet. Seinen Schießstil beschreibt er vornehmlich in Kapitel 2 recht knapp, aber anschaulich und verständlich. Konzentration und Visualisierung sind dabei die Kernelemente – beides lässt sich jedoch nur schwer vermitteln, erst recht mit Hilfe geschriebener Worte. Schonungslose Selbstanalyse und -kritik sind daher unabdingbar, um Fortschritte zu erzielen und Fergusons Methode näher zu kommen.
Neben Stand und Bogenhaltung stellt vor allem das Schätzen der Entfernung zum Ziel einen charakteristischen Bestandteil des klassischen oder traditionellen Bogenschießens – und eine seiner größten Hürden – dar. Ferguson geht auf die Probleme ausführlich ein, gibt Hilfestellung und Tipps, betont aber auch immer wieder, dass die drei Schritte zum Erfolg „üben, üben, üben!“ lauten. Das dritte Kapitel gibt daher Anregungen für das Training sowohl physischer als auch mentaler Art.
In Kapitel 4 wird vorrangig das behandelt, was man als „Setup“ bezeichnen kann: Abstimmung von Pfeil und Bogen, Spannhöhe, Tuning. Die Philosophie seines Stil, das „zum Pfeil werden“, legt Ferguson in den drei Abschnitten des ersten Kapitels dar, Bezüge dazu finden sich aber immer wieder durch das gesamte Buch verstreut.
Am Ende finden sich noch Antworten auf häufig gestellte Fragen, Erfahrungen bei Design und Bau amerikanischer Langbögen oder Flatbows sowie eine Darstellung des vom Autor mitorganisierten jährlichen Benefiz-Turniers zugunsten eines Kinderkrankenhauses.
Das fünfte Kapitel, das rund ein Viertel der insgesamt 180 Seiten ausmacht, ist der Bogenjagd gewidmet. Ferguson schildert darin eigene Jagderlebnisse, seine Erfahrungen und Erkentnnisse, und gibt Tipps zu Jagdzeiten, Wahl des Ansitzes, Nachsuche, häufigen Fehlern und weiteren Themen. Wenngleich die Bogenjagd in Deutschland und weiten Teilen Europas verboten ist und wohl die wenigsten LeserInnen selbst einmal mit dem Bogen auf Pirsch oder Ansitz gehen werden, lassen sich große Teile dieses Kapitels durchaus mit Gewinn lesen. Zum Einen sind sie unterhaltsam geschrieben, zum Anderen lassen sich viele angesprochenen Aspekte, Probleme und Überlegungen auch auf den 3D-Parcours oder die Turniersituation übertragen.
In einer Jagdsituation bleibt oft keine Zeit, um lange im Anker zu verharren, die Entfernung zu schätzen, die Haltung zu justieren. Der Schussablauf muss in einer einzigen flüssigen Bewegung ablaufen, und man muss sich seines Treffers sicher sein könnnen. Von dieser Technik profitieren auch 3D- und Scheibenschützen, doch dazu müssen die körperlichen und mentalen Abläufe verinnerlicht sein, um jederzeit ohne Nachdneken abgerufen werden zu können-
„Become the Arrow“ ist ein sehr persönliches Buch, es handelt vorrangig von Byron Ferguson und seinen Erfahrungen, Erkenntnissen, Ansichten und dem Weg, auf dem er zu diesen gelangte. Auch erfolgreiche SchützInnen, die mit ihrem eigenen Schießstil zufrieden sind, werden angeregt, diesen einmal kritisch und analytisch zu betrachten.
Dazu sollte man jedoch zumindest mit den Grundlagen des traditionellen Bogenschießens und seinen Begrifflichkeiten vertraut sein. Anfänger werden mit den zahlreichen Fachausdrücken überfordert sein, ein Glossar ist nicht enthalten. (Leider auch kein Index.) Für erfahrene Schützen jedoch stellt „Become the Arrow“ eine wertvolle Ergänzung des Bücherregals dar, da das Buch sie mit dem persönlichen Stil eines erfolgreichen Bogenschützen und -jäger vertraut macht, der im Gegensatz zu vielen Lehrern und „Gurus“ sehr genau angeben kann, welche Beobachtungen und Erfahrungen ihn zu bestimmten Erkenntnissen und auf welche Weise ihn diese Erkenntnisse zu konkreten Aspekten seines Schießstils geführt haben.
Die amerikanische Originalausgabe von „Become the Arrow“ erschien bereits 1994, eine deutschsprachige Ausgabe von 2010 wurde für die Neuauflage im Verlag Meyer & Meyer komplett überarbeitet. Das Buch ist mit 124 Abbildungen illustriert. Einige dieser Bilder sind der älteren Ausgabe entnommen und leider von geringer Qualität. Sie lassen daher nur wenige Details erkennen, was insbesondere bei den Abschnitten zu Körper-, Hand- und Bogenhaltung ein Manko darstellt.
Meyer & Meyer Verlag, Aachen 2017. 181 S., 124 Abb. ISBN 978-3-8403-7534-7. € 22,95.