„Die Armbrust. Schrecken und Schönheit“

"Die Armbrust. Schrecken und Schönheit", hg. von Sven Lüken und Jens Sensfelder. München 2019.

„Die Armbrust. Schrecken und Schönheit“, hg. von Sven Lüken und Jens Sensfelder. München 2019.

Bis zum 8. März 2020 zeigt das Deutsche Historische Museum in Berlin die Ausstellung „Die Armbrust – Schrecken und Schönheit“. Bei dem nun erschienenen gleichnamigen Katalog handelt es sich jedoch nicht (nur) um einen Begleitband, sondern um eine Bestandsaufnahme aller im Besitz des Museums befindlichen Armbruste, Spannhilfen, Bolzen, Köcher und sonstigen verwandten Objekte.
Von den 330 Seiten entfallen rund die Hälfte auf den Katalogteil, die andere Hälfte umfasst thematisch sehr unterschiedliche Aufsätze namhafter Autoren. Dabei geht es zunächst einmal gar nicht unmittelbar um die Armbrust, sondern um die spannende Frage: Wie geht man als Museum mit Waffen und anderen Zeugnissen von Krieg und Gewalt um? Ist es z.B. überhaupt legitim, einem zum Töten geschaffenen Gegenstand einen ästhetischen Wert zuzuschreiben, wie es der Titel von Ausstellung und Katalog ja andeutet?

Betrachtet man zahlreiche Objekte des Bestandskatalogs, so bleibt wohl keine andere Wahl, als letztere Frage mit „Ja!“ zu beantworten. Wahre Kunstwerke finden sich darunter, überreich mit figürlichen und ornamentalen Schnitzereien verziert, aber dennoch voll funktionsfähig und nach Ausweis zahlreicher Spuren auch jahrelang in Gebrauch gewesen. Warum ein solcher Aufwand, ein simples Kriegs- oder Jagdgerät mit derartigem Schmuck auszustatten?
Ohne Frage ist der ästhetische und auch finanzielle Wert einer solchen Waffe ein Grund, warum sie die Jahrhunderte überdauern und ihren Weg in ein Museum finden konnte. Doch was haben solche „Instrumente der Gewalt“ überhaupt in einem Museum zu suchen, und wie gelangen sie dorthin? Diesen Fragen spürt Fritz Backhaus in seinem Beitrag am Beispiel des DHM nach, das über eine beträchtliche Sammlung von Militaria verfügt, die zu einem großen Teil aus den Beständen des ehemaligen DDR-Museums für Deusche Geschichte (MfDG) stammen.
Speziell auf die Entstehung und den Werdegang der bedeutenden Armbrustsammlung des DHM geht Kurator Sven Lüken in seinem ersten Essay ein. In einem zweiten Beitrag zeichnet er die Geschichte der Armbrust und ihre Verwendung in Krieg und Frieden, also auf der Jagd und im Schützenwesen, den Anfängen des Schießsports im Spätmittelalter nach. Der Wandel von der Waffe zum Sportgerät ist ein Aspekt, der die Armbrust von zahlreichen anderen Wehren unterscheidet, und der nicht zuletzt für ihre zunehmende Ästhetisierung und ihr Überdauern der Zeiten verantwortlich zeichnet.
Zur Sammlung des DHM zählen auch zwei eher schlichte Jagdarmbruste aus dem Besitz Kaiser Maximilians I., des „großen Waidmanns“. Jens Sensfelder schildert die Jagd zur Zeit des Habsburgerkaisers, die verwendeten Waffen und Methoden und schließlich die Erfahrungen beim Nachbau und der Erprobung einer der beschriebenen Armbruste.
Aus kunsthistorischer Perspektive nähert sich Brigitte Reineke dem überraschenden Bilddekor einer Reihe von Armbrusten, von denen sich zwei in der Sammlung des DHM befinden. Anstatt mit Jagdszenen wie zahlreiche andere Exemplare sind diese mit biblischen Motiven dekoriert, in denen bevorzugt nackte Frauen eine Rolle spielen. Das „Weib“ als Jagdbeute oder als Jägerin mit den Waffen der Frau?

Der Katalogteil umfasst 94 Inventarnummern, unter denen z.T. mehrere Objekte (z.B. Bolzen) zusammengefasst sind. Es handelt sich um vollständige Armbruste, Säulen, Bögen, Spannhilfen, Köcher und Bolzen vom 15. bis ins 20. Jahrhundert, überwiegend europäischer, aber auch afrikanischer und asiatischer Herkunft.
Unter den Armbrusten befinden sich aufwändig verzierte, aber auch schlicht-funktionale und sogar kuriose Exemplare. Zahnstangenwinden konnten ebenfalls kunstvoll dekoriert sein, die Bolzen bzw. -spitzen weisen einen großen Formenreichtum auf.
Alle Objekte sind erstklassig fotografisch wiedergegeben, z.T. aus mehreren Perspektiven oder mit Detailaufnahmen. Maße, Werkstoffe, Provenienz, Vergleichsstücke etc. sind vorbildlich erfasst, die Stücke angemessen ausführlich beschrieben und kommentiert.
Der Anhang umfasst ein Verzeichnis von Verlusten aus der Sammlung des DHM, ein Verzeichnis der Marken auf Bögen, Säulen und Spannvorrichtungen sowie ein umfangreiches Quellen- und Literaturverzeichnis.

Für Fans der historischen Armbrust lässt der Bestandskatalog des DHM keine Wünsche offen! Eine der fraglos bedeutendsten Sammlungen wird hier erstmals vollständig und gründlich wissenschaftlich aufbereitet und auf vorbildliche Weise dokumentiert. Die begleitenden Aufsätze des Essayteils sind allesamt lehrreich, interessant und anregend zu lesen sowie ausgiebig illustriert, insbesondere die Detailfotos von erstklassiger Qualität.
Der Band ist sehr hochwertig produziert und mit festem Einband und Lesebändchen ausgestattet. Eine Zierde für jeden Kaffeetisch, eine Bereicherung für jedes Bücherregal!

München, Hirmer Verlag 2019. Geb., 334 S., ca. 450 Abb. ISBN  978-3-7774-3376-9. € 49,90.

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