Die modisch gekleidete Bogenschützin

„Sportbekleidung“ in einer englischen Modezeitschrift von 1831

La Belle Assemblée“ war eine frühe britische Frauenzeitschrift, die von 1806 bis 1837 erschien und dann vereinigt mit dem „Lady‘s Magazine and Museum“ als „The Court Magazine and Monthly Critic“ weiter geführt wurde. Von Beginn an publizierte die Zeitschrift Lyrik, Kurzgeschichten und Fortsetzungsromane sowie Beiträge zu Politik und Wissenschaft, daneben Theater- und Buchkritiken. Ab den 1820er Jahren verlegten sich die Herausgeber vermehrt auf Fragen der Haushaltsführung sowie die neuesten Nachrichten und Trends aus der Welt der Mode.
Bemerkenswert ist „La Belle Assemblée, or Court and Fashionable Magazine“, wie seit 1823 der vollständige Titel lautete, heute in erster Linie aufgrund seiner zahllosen, qualitativ hochwertigen und oft kolorierten Stahlstiche, die neben Noten und Schnittmustern vor allem ein Panorama modischer Vorstellungen der Regency-Zeit in Großbritannien widerspiegeln.

Band XIV Nr. 81 vom September 1831 enthält einen mehrseitigen Artikel über das Bogenschießen als ehrenwerten, schicklichen und gesunden Zeitvertreib, der Damen der gehobenen Gesellschaft wohl angemessen sei. Das ist nicht ohne Bedeutung, denn weibliche Bogenschützen waren zu dieser Zeit noch keineswegs eine Selbstverständlichkeit! Während der Napoleonischen Kriege (1803-1815) war das Bogenschießen in England weitgehend zum Erliegen gekommen, und viele der wenigen in den 1820er und 1830er Jahren noch bestehenden Vereinigungen akzeptierten keine Frauen als aktive Mitglieder. Unter der Patronage von König William IV. (reg. 1830-1837) und Königin Victoria (reg. 1837-1901) erlebte das sportliche oder freizeitliche Bogenschießen jedoch einen erneuten Aufschwung, von dem auch die Damen profitierten.
Die genannte Ausgabe der „Belle Assemblée“ stellt auf Seite 118 unter der Überschrift „Mode für September 1831“ in der Rubrik „Records of the Beau Monde“ zwei „Archery Dresses“ vor, die auf einem kolorierten Stahlstich dargestellt sind. Dazu heißt es auf der folgenden Seite unter „Allgemeine Betrachtungen zu Mode und Kleidern“:

„Dieser wahrhaft englische Zeitvertreib, das Bogenschießen, das Vergnügen unserer Vorväter und Vormütter (kein Gekrittel, gute Leserin – wir bestehen auf unserem Recht, ab und an ein neues Wort zu prägen), ist erneut in Mode gekommen. Wir beeilen uns, unseren geschätzten Leserinnen zwei gleichermaßen elegante wie diesem gesunden und vergnüglichen Amüsement angemessene Kleider zu präsentieren.“

Die beiden Kleider werden wie folgt beschrieben:

Erstes Kleid

Ein Kleid aus changierendem Gros de Naples (Seidengewebe), grün mit weißen Einschüssen. Die Corsage, die nahezu, aber nicht ganz, bis zum Hals hinaufreicht, wird vorne mit einer Reihe von Goldknöpfen geschlossen, die sich in gleichmäßigen Abständen von der Taille bis zum unteren Rand des Kleides fortsetzen. Die Corsage ist figurbetont. Die Ärmel formen an ihrem oberen Ende doppelte Bäusche, jedoch viel kleiner, als diese für gewöhnlich getragen werden. Dies ist eine Frage der Notwendigkeit, da die schöne Bogenschützin sie andernfalls beim Spannen ihres Bogens in Stücke reißen würde. Der übrige Ärmel liegt eng am Arm an.
Der Armschutz, der auf dem rechten [sic!] Arm getragen wird, besteht aus primelfarbenem Chevreau (feines Ziegenleder), das mit den Handschuhen harmoniert. Der Gürtel wird mit einer goldfarbenen Schließe geschlossen; zur Rechten [sic!] hängt ein grüner Quast aus Wollgarn, mit dem die Pfeile abgewischt werden; ein grün moiriertes Band hält die petite poche (wörtl.: „kleine Tasche“), welche zur linken Seite [sic!] die Pfeile aufnimmt.
Ein Spitzenkragen in Form einer Pelerine fällt über den oberen Teil der Brust. Weißer Hut in Gros des Indes (Gewebe aus Naturseide) mit runder und recht großer Krempe, gesäumt mit grünem Rouleau (Flechtlitze) und mit Hilfe eines Goldknopfes und einer Schlaufe gehalten. Eine Zier von weißen Straußenfedern ist mit einem Knoten aus grünem Band vor der Hutkrone befestigt. Die Federn neigen sich in verschiedenen Richtungen über die Krempe. Die Halbstiefel bestehen aus grüner Rippseide mit schwarzen Spitzen

Zweites Kleid

Ein Kleid, bestehend aus weißem Chaly (Mischgewebe aus Seide und Wolle) mit einem Canezou (eine Art kurzes Spencer-Jäckchen) aus blauem Gros de Naples. Die Vorderseite der Brust ist im Husarenstil verziert, mit Flechtornamenten aus weißer Seide und hübschen Seidenknöpfen; schlichter, eng anliegender Rücken. Lange, eng am Arm anliegende Ärmel mit Halbärmeln à l‘Espagnol („auf spanische Art“), geschlitzt, mit Streifen aus figürlich besticktem weißem Gros de Naples. Ein üppiger Fransensaum aus weißer Seide erstreckt sich entlang der Schulter von der Front bis zum Rücken. Eine Collerette (Kragenkrause) aus weißem Tüll, von neuartiger Form, auf der Vorderseite mit einer goldenen Perlenbrosche geschlossen. Der Gürtel wird mit einer ausgefallen geformten Silberschnalle geschlossen; die Accessoires harmonieren farblich mit dem Canezou. Weißer Hut aus Gros de Naples, verziert, mit weißen Straußenfedern, goldenem Knopf und Schlaufe. Halbstiefel aus blauem Chevreau.

Zwei "Archery Dresses" für die elegante Bogenschützin in "La Belle Assemblée" XIV/81 (1831), Tafel 2.

Zwei „Archery Dresses“ für die elegante Bogenschützin in „La Belle Assemblée“ XIV/81 (1831), Tafel 2.

Aus heutiger Perspektive erscheinen die Kleider extravagant, elegant vielleicht, aber jedenfalls überaus unpraktisch.
Im 19. Jahrhundert stand bei „Sportbekleidung“ für Damen allerdings nicht der praktische Nutzen im Vordergrund, sondern die Schicklichkeit. Das Tragen von Hosen stand für Frauen außer Frage, und die von modernen Bogenschützinnen bevorzugten T-Shirts hätten damals für handfeste Skandale, vermutlich mit anschließender Verhaftung wegen unsittlichen Verhaltens und Erregung öffentlichen Ärgernisses geführt. Dass eine Dame der Gesellschaft in der Öffentlichkeit ihre Handgelenke oder Fußknöchel entblößte, war gänzlich unvorstellbar – von Schultern und Knien ganz zu schwiegen!

Immerhin bot das Bogenschießen Gelegenheit, sich auf schickliche, einer Dame angemessenen Weise sportlich zu betätigen. Es wurde daher in verschiedenen Publikationen ausdrücklich empfohlen, die gesundheitlichen Vorteile von ruhiger, gemessener Bewegung an der frischen Luft, der aufrechten Haltung und stillen Konzentration hervorgehoben. Außer Atmen oder ins Schwitzen zu geraten – beim Scheibenschießen eher nicht zu erwarten – wären den Damen hingegen ganz und gar nicht angemessen gewesen, wodurch zahlreiche bei Männern beliebte Sportarten und Freizeitbeschäftigungen von vornherein nicht in Frage kamen. Zu den wenigen körperlichen Aktivitäten, die Frauen von Stand neben dem Bogenschießen daher zugestanden wurden, zählten Reiten (im Damensattel) und Croquet – selbst Beizjagd und Tennis, seit dem Mittelalter unter den Damen der Oberschichten weit verbreitet und beliebt, standen im prüden 19. Jahrhundert im Ruf der Unschicklichkeit.

„The Fair Toxophilites“, Gemälde von William Powell Frith (1872), Royal Albert Memorial Museum.

„The Fair Toxophilites“, Gemälde von William Powell Frith (1872), Royal Albert Memorial Museum.

Die archery dresses der „Belle Assemblée“ von 1831 waren mithin keineswegs so extravagant, wie sie uns heute erscheinen mögen. Dass sie vielmehr einen durchaus realistischen Ausdruck der Vorstellungen von Mode, Schicklichkeit und Anstand einer vergangenen Epoche darstellen, belegen nicht zuletzt vergleichbare Darstellungen der Zeit wie etwa das berühmte Gemälde „The Fair Toxophilites“ von William Powell Frith (1872).

Literatur:

Ein Gedanke zu „Die modisch gekleidete Bogenschützin

  1. Danke für den Einblick in die Sportmode vergangener Tage.
    Mein Gedanke beim Lesen war: Noch 150 Jahre bis Katniss Everdeen kommt…

    Aber mal ernsthaft, erstaunt es irgendjemand, wenn den Frauen unter o eng gestrickten Regeln irgendwann die Decke auf den Kopf gefallen ist? Also mich nicht. Die Mode, und die Ideen davon was Sittlich ist, das sind ja nur Bestandteile, quasi Symptome dieser Zeit. Eine ganz andere Welt existierte damals; kaum zu fassen, dass das erst 150 Jahre her ist.

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