Gaston Phoebus: Das Buch der Jagd

Gaston Phoebus: Das Buch der Jagd, Darmstadt: wbg 2021.

Gaston Phoebus: Das Buch der Jagd, Darmstadt: wbg 2021.

Im Spätmittelalter traten vermehrt Adelige als Urheber von Büchern in Erscheinung. Verfasst wurden bevorzugt Abhandlungen über Aspekte ihrer ureigenen Lebenswelt, wobei die Jagd eine herausragende Stellung einnahm. Kaiser Friedrich II. hatte mit seinem „Falkenbuch“ („De arte venandi cum avibus„) den Anfang gemacht, Gaston III., Graf von Foix und Vicomte von Béarn, genannt „Phoebus“ (1331-1391) schuf 1387-1389 das wohl einflussreichste, am weitesten verbreitete und noch Jahrhunderte später zitierte Werk zum Thema.
Heute sind noch 46 handschriftliche Exemplare seines „Livre de (la) chasse“ aus dem 14.-16. Jahrhundert bekannt, sowie mindestens zwei spätere Druckausgaben. Unter den illlustrierten Manuskripten gilt die um 1405-1410 in Paris wahrscheinlich im Auftrag Herzog Johanns II. von Burgund geschaffene, jetzt in der Bibliothèque Nationale de France unter der Signatur Ms. français 616 verwahrte als die schönste. Zwei weitere Ausgaben in Paris (BnF Ms. fr. 619) und New York (Pierpont Morgan Library MS 1044) stehen ihr allerdings in der Qualität der Ausführung kaum nach.
Letztere wurde nun vom Faksimile Verlag Luzern als hochwertiges Faksimile herausgegeben, welches wiederum als Grundlage der vorliegenden, deutlich preiswerteren deutschen Übersetzung diente.

Das Exemplar der Pierpont Morgan Library ist sehr wahrscheinlich rund 20 Jahre nach dem Tod des Autors in Paris entstanden. Im Essayteil der vorliegenden Ausgabe zeichnet der Kurator für Handschriften des Mittelalters und der Renaissance der PML William M. Voelkle Entstehung und Geschichte der Handschrift nach, wobei einige Aspekte leider Spekulation bleiben müssen. Fest steht, dass die Handschrift zahlreiche wechselnde Besitzer hatte, darunter die „katholischen Könige“ Ferdinand und Isabella von Kastilien, deren Wappen auf eines der Vorsatzblätter gemalt wurde.
Wie Voelkles informativer Beitrag zeigt, kann die Suche nach den historischen Spuren einer Handschrift nahezu so spannend sein wie ein Detektivroman, und ganz nebenbei lernen Leser*innen mit Belle da Costa Greene, der afro-amerikanischen ersten Direktorin der Pierpont Morgan Library, noch eine wahrhaft außergewöhnliche Ikone des Bibliothekswesens kennen.

Ebenfalls im Anhang ordnet François Avril das „Buch der Jagd“ in den Kanon spätmittelalterlicher Bilderhandschriften und insbesondere der damals zunehmend beliebter werdenden Jagdliteratur ein. Vom 15. Jahrhundert an avancierte das Werk geradezu zur Pflichtlektüre jagdbegeisterter Herrscher und Adeliger, wovon die zahlreichen Kopien des Texts und teilweise auch der Illustrationen Zeugnis ablegen.

Der Lebensgeschichte seines Autors, der Krieg, Liebe und Jagd als die großen Leidenschaften seines Lebens angibt, widmet sich der Beitrag des Kunsthistorikers Yves Christe zu Beginn der Ausgabe. Gaston Phoebus war ohne Frage kein langweiliger, aber durchaus auch ein fragwürdiger Charakter, der seine Frau verstieß und seinen Sohn ermordete, als cleverer, vorausschauender und mitunter skrupelloser Staatsmann aber auch sein Fürstentum geschickt und erfolgreich durch schwierige Zeiten manövrierte.
Das Leben eines solchen Menschen auf wenigen Seiten anschaulich darzustellen stellt keine geringe Herausforderung dar, aber leider ist Christes Kurzbiographie mit ihren Zeitsprüngen und zahlreichen Nebenfiguren stellenweise etwas unübersichtlich geraten.

Die Ausgabe des Werks selbst umfasst alle 87 Illustrationen sowie erstmals den vollständigen Text in deutscher Übersetzung.
In 85 Kapiteln geht Phoebus teils sehr knapp, teils in großer Ausführlichkeit auf praktisch alle Aspekte der mittelalterlichen Jagd ein. Nach Abhandlungen über die verschiedenen Wildarten folgen Ausführungen zu den unterschiedlichen Hunderassen, ihre Besonderheiten, Ausbildung, Pflege, Unterbringung, Krankheiten und deren Heilung sowie ihren Einsatz bei verschiedenen Formen der Jagd.
Diese umfassen Pirsch, Hatz, Fallen, Netze sowie die Jagd mit Pfeil und Bogen oder Armbrust. Weitere Aspekte sind Jagdhornblasen, Ansprechen des Wilds nach der Fährte, Bericht des Jägers bei der Jagdversammlung, Regeln zum Aufbrechen von Hirsch und Wildschwein sowie das Verteilen der Stücke an Hunde und Jagdgesellschaft und einiges mehr. Lediglich zur Beizjagd äußert sich der Autor nicht.

Von besonderem Interesse sind Phoebus‘ Beschreibungen von 14 verschiedenen Wildarten von Hirsch über Damwild, Wildschwein und Dachs bis zu Wildkatze und Otter mit ihren Lebens- und Ernährungsgewohnheiten. Diese beruhen eindeutig nicht auf irgendwelchen Überlieferungen, sondern aus eigener Anschauung, jahrelanger Beobachtung und intensiver Jagdtätigkeit. Auch die Illustrationen heben sich durch ihre Genauigkeit und ihren Detailreichtum von der Masse der mittelalterlichen Tierdarstellungen ab.
Das gleiche gilt für die zahlreichen Hunderassen, die Phoebus kenntnisreich beschreibt und die sich anhand der Bilder deutlich unterscheiden lassen.
Die geschilderten Jagdmethoden muten uns heute zum Teil etwas barbarisch an, bieten aber einen spannenden und umfassenden Einblick in die jagdliche Praxis des späten Mittelalters.

Neben allen Miniaturen des Originals (mit Erläuterungen) finden sich stellenweise ganze Seiten inklusive der Handschrift und der schönen Bordüren widergegeben, zudem mitunter Detailabbildungen, so dass die Gesamtzahl der Illustrationen auf rund 200 anwächst.
Die Übersetzung ist leicht und flüssig zu lesen und zeugt von historischem und jagdlichem Sachverstand gleichermaßen. Der Anhang enthält eine Bibliographie, aber leider kein Glossar und kein Stichwortverzeichnis, was den praktischen Nutzen der Ausgabe noch weiter erhöht hätte.

Das „Buch der Jagd“ ist eine der wichtigsten und ergiebigsten Quellen zur Geschichte der Jagd im MIttelalter und bietet einen wertvollen Einblick in die Lebenswelt des europäischen Adels im späten 14. Jahrhundert. Die Handschrift zeugt vom hohen Sachverstand ihres Autors sowie seiner erstaunlichen, vorwiegend aus eigener Beobachtung gewonnenen Tier- und Naturkenntnis.
Darüber hinaus sind die prachtvollen und präzisen Illustrationen nicht nur sehr schön anzusehen, sie dienen auch als unschätzbare Bildquellen zu Kleidung, jagdlicher Bewaffnung und sonstiger Ausstattung.
Wer sich für das späte Mittelalter, die Geschichte der Jagd, der Adelskultur oder auch der Bekleidung und Mode interessiert, findet im „Buch der Jagd“ reichhaltiges Anschauungsmaterial. Phoebus‘ kenntnisreiche, unterhaltsame und gelegentlich sogar humorvolle Ausführungen sind nicht nur infomativ, sondern auch vergnüglich zu lesen.
Es ist sehr erfreulich, dass die vorliegende Ausgabe dieses bedeutsame Werk nun erstmals in seiner Gesamtheit zugänglich macht. Die enthaltenen Essays liefern wertvolle Zusatzinformationen und sind ebenfalls mit Gewinn zu lesen.
Zwar ist das Werk nicht gerade ein Schnäppchen, aber auf jeden Fall seinen Preis wert (und deutlich günstiger als das Faksimile!).

Darmstadt: wbg 2021. Geb., 223 S., 200 farb. Abb. ISBN 978-3-534-27357-7. € 60,- (ab 1.7.2022: € 80,-).

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