Sebastianus stammte wahrscheinlich aus Narbonne im Süden Frankreichs und aus „gutem Hause“. Er wuchs in Mailand auf, wo er Kaiser Diokletian auffiel, der seine Aufnahme in die Prätorianergarde veranlasste. Diese Elitetruppe bildete die persönliche Leibwache des Kaisers, sie erhielt deutlich höheren Sold als die übrigen Truppen und genoss zahlreiche weitere Vorteile. Sebastian stieg in den Rang eines Hauptmanns auf – die Aussichten auf eine sichere, wohlhabende Zukunft und ein angenehmes Leben standen gut für den jungen Mann.
Offizier und Christ
Doch Sebastian war nicht nur Prätorianer, Günstling des Kaisers und treuer Bürger Roms. Er war darüber hinaus auch bekennender Christ, was im dritten Jahrhundert zur Zeit der Christenverfolgungen überaus gefährlich sein konnte. Zwar kümmerten sich die Römer relativ wenig darum, welchen Göttern ein Mann in seinen Privatgemächern huldigte. Sebastian jedoch nutzte seine privilegierte Stellung und die häufigen Abwesenheiten des Kaisers, um gefangene Glaubensgenossen im Kerker zu besuchen, sie mit Lebensmitteln und Informationen zu versorgen und wohl auch, um andere Christen vor Verfolgung und Verhaftung zu warnen.
Diokletian erfuhr schließlich vom Treiben seines Leibwächters, ließ ihn gefangen nehmen und an eine Säule im Hippodrom, der Pferderennbahn binden. Ein Trupp numidischer Bogenschützen diente als Erschießungskommando, durchbohrte den halbnackten Jüngling mit Pfeilen und überließ den einst stolzen Prätorianer aus zahlreichen Wunden blutend dem Sterben. Die Witwe eines Glaubensgenossen namens Irene erbarmte sich des Märtyrers und wollte ihn mit christlichen Ehren begraben, wie sie es schon bei vielen anderen getan hatte.
Doch Sebastian war nicht tot! Irene nahm den jungen Mann bei sich auf und pflegte ihn, bis er wieder ganz hergestellt war. Einer späteren Überlieferung zufolge war Diokletian bereit, ihn wieder in die Prätorianergarde aufzunehmen, wenn er sich von seinem Glauben lossagte. Sebastian weigerte sich. Er wurde erneut verhaftet und im Circus Maximus mit Peitschen oder Keulen endgültig zu Tode geprügelt, sein Leichnam in die Kanalisation geworfen. Als Todesdatum gilt der 20. Januar 288.
Die Leiche des Märtyrers wurde von einer Christin namens Lucina Anicia geborgen und in den Katakomben an der Via Appia bestattet. Im 4. Jahrhundert ließ Kaiser Konstantin über dem Grab die Apostelbasilika errichten, die später dem nunmehr heiligen Sebastian geweiht und zu einer der sieben Pilgerkirchen Roms erhoben wurde.
Patron der Bogenschützen
Mit derselben Logik, durch die Laurentius zum Patron gegen Rückenleiden avancierte, weil er rücklings auf einen glühenden Eisenrost gebunden worden war, oder der in der Moldau ertränkte Johannes von Nepomuk vor eben solchem Tod durch Ertrinken schützen sollte, so entwickelte sich Sebastian im Laufe der Zeit zum Schutzpatron der Bogenschützen.
Erste Darstellungen seines Martyriums datieren bereits aus dem 5. Jahrhundert.
Die älteren Bildtypen zeigen ihn meist als Krieger, gerüstet mit Schwert und Schild. Zur Zeit der Gotik jedoch entwickelte sich unter bildenden Künstlern eine gewisse Faszination des gequälten, leidenden Körpers. Analog zu den Kreuzigungsszenen, die Christus nunmehr verstärkt blutend, abgemagert und elend am Kreuz hängend zeigen, wird der meist nur noch mit einem Lendenschurz bekleidete, gefesselte und somit wehrlose Sebastian zu einem bevorzugten Bildmotiv. Sein Leib ist von Pfeilen durchbohrt, er blutet aus zahlreichen Wunden, doch sein Gesichtsausdruck zeigt häufig die gläubig-entrückte Schicksalsergebenheit, die einem christlichen Märtyrer angemessen ist.
Bis ins 16. Jahrhundert und mancherorts auch darüber hinaus bleibt Sebastians Martyrium eine der beliebtesten Heiligendarstellungen. Anstelle seines Leidens tritt jedoch zunehmend die gesamte Erschießungsszene in den Vordergrund, wobei einige interessante Auffälligkeiten zu bemerken sind.
Ausgehend von französischen Vorbildern zeigen die Gemälde im 14. und 15 Jahrhundert vornehmlich Schützen mit Langbögen. Je nach Fähigkeiten des Künstlers und der Genauigkeit seines Anspruchs sind mitunter die helle Splintholzschicht am Bogenrücken sowie die geschnitzten Hornnocken gut zu erkennen. Die Waffen entsprechen auffallend jenen der englischen Bogenschützen, den verhassten Feinden Frankreichs während des Hundertjährigen Krieges (1337-1453).
Dagegen findet sich etwa ab der Mitte des 15. Jahrhunderts vermehrt ein neuer Bogentypus in den Händen des Erschießungskommandos: Kurze Reflexbögen, wie sie bei den Reitervölkern des Ostens und insbesondere den Osmanen in Gebrauch waren. Das Osmanische Reich hatte im 14. Jahrhundert begonnen, sich auf Kosten seiner Nachbarn auszudehnen und 1453 Konstantinopel erobert. In den Jahren 1529 und 1532 belagerten die Türken Wien und bedrohten Mitteleuropa, nachdem sie weite Teile des Balkans unter ihre Kontrolle gebracht hatten.
Im Westen verlor der Bogen im 15. Jahrhundert seine Bedeutung als Kriegswaffe endgültig zugunsten der Armbrust und vor allem der neu aufkommenden Feuerwaffen. Auf dem Sebastiansaltar des „Meisters der heiligen Familie“ (1493/94) ist ein Armbrust spannender Schütze neben solchen mit Englischen Langbögen zu sehen.
Verehrung
Etwa zur gleichen Zeit entstanden in Flandern, den Niederlanden und Deutschland die ersten bürgerlichen Schützengilden. Nach dem Vorbild religiöser Bruderschaften standen sie unter dem Schutz eines Patrons, bevorzugt natürlich des heiligen Sebastians. Sie verfügten über Fahnen, Siegel, wertvolles Trinkgeschirr, Truhen oder Urkunden-Laden und verschiedenes weiteres Zubehör, das nicht selten mit Darstellungen des Schutzheiligen verziert war.
In der Regel waren sie einem Altar des Patrons verbunden und begingen seinen Festtag mit Messen und Prozessionen. Die Sebastians-Schützenbruderschaft von Nordhausen fand ihre erste Erwähnung in einer Urkunde vom 13. September 1420. Darin heißt es unter anderem, dass
„der Provinzial der Predigermönche in der Provinz Sachsen […] die fromme Pfeil-Schützenbrüderschaft zu Northausen in die Brüderschaft seines Ordens aufgenommen hat und ihr die Teilhaftigkeit an allen Messen, Vigilien, Predigten […] zusichert.“ Im Folgejahr stifteten die Schützen der Kirche einen Kronleuchter zu Ehren des heiligen Sebastian und jährlich 30 Pfund Wachs. Sie wollten auch „im Jahr einmal die verstorbenen Brüder und Schwestern jener Gesellschaft […] mit Vigilien und Seelenmessen begehen und bei diesem Begängnisse vier Lichter brennen an dem Tag nach S. Sebastianstage oder wenn es ihnen sonst beliebt.“
Die St. Sebastianus-Schützenbruderschaft zu Nörvenich in Westfalen führt ihre Entstehung sogar auf das Jahr 1408 zurück, die meisten derartigen Vereinigungen in Deutschland wurden jedoch im 16. Jahrhundert gegründet. Besonders vielfältig war das Schützenwesen in Flandern, wo sich die Bogenschützen bevorzugt unter dem Patronat Sebastians, die Armbrustschützen dagegen unter dem Schutz St. Georgs versammelten. Weitere beliebte Patrone waren Martin, der dritte Soldatenheilige, und die Mutter Gottes.
Neben Geselligkeit und Frömmigkeit wurde natürlich auch das Schießen geübt, in Deutschland vornehmlich mit der Armbrust. Die Gesellschaften verfügten meist über eigene Schießplätze außerhalb der Stadtmauern oder im Stadtgraben. Dort traf man sich mindestens einmal pro Woche zum gemeinsamen Training und einmal im Jahr zum Schützenfest, das ebenfalls von Prozessionen, Gottesdienst und Festessen begleitet wurde. Aufgrund der Witterungsbedingungen fanden diese nicht am Festtag des Heiligen, dem 20. Januar statt, sondern bevorzugt nach der Ernte im Herbst.
Unabhängig von jeglichen Schützentraditionen waren dem Märtyrer zahlreiche Altäre, Kapellen und Kirchen geweiht. Die älteste Sebastianskirche erhebt sich über seiner überlieferten Grabstätte an der alten Via Appia in Rom (San Sebastiano fuori le mura). Im oberbayerischen Ebersberg gab Graf Eberhard I. 934 den Bau einer Kirche zu Ehren Sebastians in Auftrag, die später zu einem Kloster erweitert wurde. Dort wurde die Hirnschale des Heiligen aufbewahrt, was Kirche und Kloster zu einem beliebten Wallfahrtsort machte. Im 17. und 18. Jahrhundert war es üblich, sogenannte Sebastianspfeile an die Pilger zu verteilen. Es handelte sich um kleine aus Blech gestanzte Herzen, die von einem Pfeil durchbohrt wurden, der die Aufschrift trug: „Ora pro nobis“ („Bete für uns“). Die Amulette wurden durch Berührung der Reliquie geweiht und von den Pilgern zum Schutz vor allerlei Unheil, vor allen Dingen jedoch der Pest getragen.
Neben seiner Funktion als Schutzpatron der Schützen (sowie der Sterbenden, Eisenhändler, Soldaten, Kriegsinvaliden, Büchsenmacher, Eisengießer, Jäger etc.) galt Sebastian nämlich auch als Pestheiliger. Die symbolische Darstellung der Krankheit in Form von Pfeilen, die entweder vom Tod oder von Gott selbst auf die Menschen geschossen wurden, waren ein beliebtes Motiv der mittelalterlichen Kunst. Da lag es nahe, den Heiligen, der den Pfeilbeschuss überlebt hatte, als Beschützer anzurufen. Das schnelle Ende einer Pestepidemie in Rom wurde 680 seinen Fürbitten zugeschrieben.
Der Düsseldorfer St. Sebastianus Schützenverein führt seine Entstehung auf eine 1316 gegründete Bruderschaft zur Pflege von Pestkranken zurück. Die älteste Erwähnung der gleichnamigen Schützengilde datiert vom 20. Januar 1435, dem Festtag des Heiligen. Auch die 1541 gegründete, heute noch bestehende Sebastianibruderschaft Rheinfelden verdankt ihre Entstehung einer Pestepidemie.
Der „Ritterorden vom Heiligen Sebastian in Europa“ wurde 1985 durch die Europäische Gemeinschaft Historischer Schützen (EGS) gestiftet. Er ist dem Haus Habsburg-Lothringen verbunden und setzt sich für die Stärkung christlicher Werte in einem geeinten Europa ein. Der „Bund der Historischen Deutschen Schützenbruderschaften e.V.“ (BHDS) wurde am 27. Februar 1928 unter dem Namen „Erzbruderschaft vom Heiligen Sebastianus“ gegründet. Die erzkatholische Vereinigung geriet 2012 durch die Diskriminierung homosexueller Schützen in die Schlagzeilen. Der spanische Dichter Federico García Lorca (1898-1936) hingegen benutzte die Ikonographie des Heiligen in verschiedenen Gedichten als Symbolik seiner Selbstinszenierung als schwuler Märtyrer.
Literatur:
Anne Braun: Historische Zielscheiben. Kulturgeschichte europäischer Schützenvereine, Leipzig 1981.
Laura Crombie: From War to Peace. Archery and Crossbow Guilds in Flanders, c. 1300-1500, Glasgow 2010.
Der Beitrag erschien zuerst in: Traditionell Bogenschießen 69 (August 2013), S. 60-63.