Die Briten und Europa – das ist die Geschichte einer langen, komplexen und wechselvollen Beziehung. Seit vor rund 7.000 Jahren – erdgeschichtlich betrachtet also vor gar nicht allzu langer Zeit – die letzte Landverbindung zwischen dem Kontinent und den britischen Inseln buchstäblich unterging, der Ärmelkanal zur nassen Grenze und zugleich zur wichtigsten Verkehrsverbindung zwischen den beiden Landmassen wurde, seither pendelt auch das Verhältnis der Inselbewohner zu ihren festländischen Nachbarn zwischen Abschottung und Annäherung. Der sogenannte „Brexit“ stellt da nur die jüngste Manifestation der Ablehnung dar.
Seine Vorgeschichte zu erzählen hat sich Ralf Grabuschnig in dem vorliegenden Buch zur Aufgabe gemacht, nicht in der Absicht, ein gelehrtes Werk über britische Geschichte, Massenpsychologie, die Mängel der Europäischen Union oder das Wiedererstarken der Nationalstaaterei zu verfassen, sondern um den traurigen Ereignis mit einer gehörigen Portion Galgenhumor zu begegnen.
Unter dem Motto „weil Geschichte auch mal spannend, lustig und gehässig sein darf“ betreibt der Historiker Grabuschnig das Geschichts-Blog „Déjà vu“. Entsprechend wenig schert er sich in seinem Erstlingswerk um die Konventionen und Dogmen „seriöser“ Geschichtsschreibung, historische Ereignisse objektiv (wie immer das gehen soll), neutral und wertfrei darzustellen. Er wertet, urteilt, vergleicht und spottet auf fast 200 Seiten derart ausführlich, dass sich der Leser eher an ein Kabarettprogramm als an ein Geschichtsbuch erinnert fühlt.
Aber darf man das denn? Ist das denn noch Geschichtsschreibung? Muss man der Geschichte nicht mir Respekt und Achtung begegnen?
Wer sich nicht mit solch müßigen Fragen aufhält und einen Sinn für schwarzen Humor hat, wird mit Grabuschnigs Abrechnung gut unterhalten und erfährt dabei sogar noch das eine oder andere Detail über die britische Geschichte. Natürlich kann man dem Autor dabei eine gewisse Oberflächlichkeit vorwerfen, und manche Vergleiche zur Gegenwart wirken ein wenig bemüht. Doch auch im politischen Kabarett geht es ja nicht um Prazision in Detailfragen, sondern um die mögichst plastische und humorvolle Darstellung des großen Ganzen.
Ralf Grabuschnig betrachtet die Geschichte als „eine Ansammlung von Geschichten, die man spannend erzählen kann“, und dieses Vorhaben setzt er in seinem Debüt konsequent um. Die neun Kapitel handeln von den Auseinandersetzungen der „Briten“ mit Rom, der ersten europäischen Großmacht, von den Invasionen des Frühmittelalters und durch die Normannen, von Johann Ohneland, dem „David Cameron des 13. Jahrhunderts“ oder Heinrichs VIII. Bruch mit der katholischen Kirche, der (bis heute nachwirkenden) englischen Thronbesteigung der Welfen aus Hannover, Königin Victoria und dem Empire, den beiden Weltkriegen sowie der Nachrkiegszeit und umspannen so einen Zeitraum von rund 2.000 Jahren britisch-europäischer Geschichte.
Deutlich wird dabei: Der Autor kennt sich mit seinem Thema aus, er hatte nur keine Lust, es auf trocken-gelehrte Weise darzustellen. Und er ist mit der britischen oder besser: der englischen Mentalität bestens vertraut, dem zuweilen an Größenwahn grenzenden typischen Nationalstolz, widersprüchlicherweise gepaart mit einer geradezu zwanghaften Respektlosigkeit gegenüber den eigenen Institutionen – von der Fußballnationalmannschaft bis zum Königshaus –, dem Traum der Inselbwohner von der „splendid isolation“ und dem gleichzeitigen Bedürfnis, auf der internationalen Bühne groß mitzumischen.
Dieser Nationalcharakter, wenn man von so etwas sprechen kann, ist nicht erst gestern entstanden, er hat sich über Jahrhunderte entwickelt – diese Erkenntnis zumindest kann man aus Grabuschnigs Buch, neben zahlreichen Lachern und dem Wunsch, mehr über den einen oder anderen Sachverhalt der britischen Geschichte von Cäsar bis May zu erfahren, duchaus gewinnen.
Tectum Verlag, Baden-Baden 2018. Klappenbroschur, 200 S. ISBN 978-3-8288-4131-4. € 18,95. Erhältlich auch als eBook.