Walter: Joachim Meyer 1570 – Arbeitsbuch Langschwert

Frank Walter: Joachim Meyer 1570 – Arbeitsbuch Langschwert. Selbstverlag, Würzburg 2019

Frank Walter: Joachim Meyer 1570 – Arbeitsbuch Langschwert. Selbstverlag, Würzburg 2019

Joachim Meyer (ca. 1537-1571) zählt zu den bekanntesten deutschen Fechtmeistern und Autoren von Fechtbüchern, obwohl seine Arbeiten bereits in eine Zeit fielen, in der die meisten von ihm beschriebenen Waffen in Alltag und Ernstkampf schon keine große Rolle mehr spielten. Mit großem Fleiß ging er dennoch daran, den Umgang mit Langschwert, Dolch, Rapier, Dussack etc. zu beschreiben und seine Werke zu veröffentlichen, ehe er mit nur 34 Jahren überraschend, vermutlich an Unterkühlung oder Lungenentzündung, verstarb.
Waren seine früheren Handschriften noch für adelige Gönner und Auftraggeber entstanden, so stellte Meyers 1570 im Druck veröffentlichte „Gründtliche Beschreibung der Kunst des Fechtens“ einen ambitionierten Versuch dar, den Umgang mit verschiedenen Wehren einem breiten Publikum zugänglich zu machen.

Mit den Lehren der mittelalterlichen Fechtmeister – insbesondere Johannes Liechtenauers – bestens vertraut, war sich Meyer durchaus bewusst, dass diese Art zu kämpfen in seiner Zeit keinen Platz mehr hatte. Doch nicht zu Unrecht sah er das Fechten mit dem Schwert als Ursprung und Grundlage praktisch aller übrigen (späteren) Wehren an. An seinen Bemühungen, diese schon damals historische Kampfkunst zu modernisieren, sie teils sogar neu zu erfinden und ihr einen sportlicheren Charakter zu verleihen, scheiden sich jedoch heute die Geister der modernen Anhänger historischer europäischer Kampfkünste (HEMA).

Die Kritik an Meyers Kunst des Langen Schwertes ist vielfältig: Zu sehr auf Sport, zu wenig auf „wahre“ Selbstverteidigung sei sie ausgerichtet. So finden sich darin z.B. keine Stiche (ein Kernelement in Liechtenauers System!), dafür aber Schläge mit der flachen Klingenseite, die im Übrigen überhaupt nur möglich seien, weil die von Meyer verwendeten Fechtfedern eben keine richtigen Schwerter waren. Viele Techniken seien zudem mehr Schau als nützliche Anwendungen. Außerdem habe er das ganze System unnötig verkompliziert, indem er z.B. zahlreiche neue Haue erfunden und Einzeltechniken unter neuem Namen zu komplexen Abläufen zusammengefasst habe.

Doch Meyers Art zu fechten hat auch Anhänger, denen meist gerade der eher sportliche Aspekt zusagt, da es im Gegensatz zu den Lehren Liechtenauers und seiner Nachfolger tatsächlich möglich sei, auf diese Weise auch ungerüstet relativ sicher zu kämpfen. Des Weiteren wird gerne der klare, strukturierte Aufbau seines Werkes ins Feld geführt, in dem Techniken nachvollziehbar beschrieben und nicht nur angedeutet und der freien Interpretation überlassen würden.

Welche Seite hat nun recht? Die Frage scheint für den Würzburger Fechter, Kulturwissenschaftler und Autor Frank Walter einer der Anlässe gewesen zu sein, sich näher mit Joachim Meyer und seinem umfangreichen Fechtbuch zu beschäftigen. Als erstes Ergebnis seiner Auseinandersetzung mit dem Text, den zugehörigen Holzschnitten und den darin geschilderten Techniken liegt nun ein schlicht „Arbeitsbuch Langschwert“ betitelter erster Band vor, der sich von allen bisherigen Bearbeitungen des Originals deutlich unterscheidet.
Eine Transkription des Gesamtwerks wurde erstmals von Wolfgang Landwehr im Verlag VS-Books veröffentlicht. Eine englische Übersetzung liegt von Jeffrey L. Forgeng vor, weitere Übersetzungen und (unvollständige) Bearbeitungen unterschiedlicher Qualität sind im Netz zu finden. An Arbeitsmaterialien zu Meyer herrscht also eigentlich kein Mangel, wie ja überhaupt die Zahl der Veröffentlichungen zu historischen europäischen Kampfkünsten in den vergangenen ca. 10 Jahren exponentiell anzusteigen scheint.
Doch an der überwiegenden Zahl der Fechtbuch-Publikationen bemängelte Rainer Welle bereits vor Jahren, dass sie sich mit Transkription, Übersetzung, Fußnoten etc. gerne einen wissenschaftlichen Anstrich verleihen, in Wahrheit aber wissenschaftlichen Ansprüchen oft nicht genügen.

Dieser Kritik setzt sich Walter gar nicht erst aus, indem er in seinem „Arbeitsbuch“ auf jeglichen wissenschaftlichen Apparat komplett verzichtet. Meyers Text wird nicht im Original wiedergegeben, sondern in Form einer überwiegend sehr behutsamen Modernisierung, die den ursprünglichen Sprachduktus weitgehend beibehält, zugleich aber Orthographie, Grammatik und Begrifflichkeiten an heutige Gewohnheiten anpasst und somit Lesbarkeit und Verständlichkeit enorm erhöht.
Das Buch ist sehr großzügig gesetzt: Auf den Seiten im A4-Querformat findet sich auf der linken Hälfte der Text, die rechte bleibt frei, um eigene Anmerkungen, Interpretationen, Korrekturen, Verweise etc. einzutragen. Wo im Text auf Abbildungen verwiesen wird, finden sich die entsprechenden Ausschnitte ebenfalls rechts daneben angeordnet. Die  Holzschnitte sind zudem im Anhang gesammelt abgedruckt.
Vor allem aber sind alle Illustrationen inklusive der Hiebdiagramme noch einmal im Format A4 laminiert in einem separaten Umschlag enthalten. So können Text und Abbildung parallel studiert und letztere z.B. mit farbigen Folienstiften individuell markiert werden – optimal nicht nur für das Selbststudium, sondern auch zur Verwendung als Lehrmaterial.
Ebenfalls beigefügt ist ein Schema der von Meyer verwendeten Bezeichnungen einzelner Körperteile, der Bestandteile des Schwertes, der Blößen und Trefferflächen etc. Auch Meyers „Zettel“ liegen für den schnellen Zugriff noch einmal einzeln bei.

Mit seinem „Arbeitsbuch Langschwert“ hat Frank Walter eine neue und überaus nützliche Form der Bearbeitung und Veröffentlichung historischer Fechtbücher gefunden. Durch die kompromisslose Konzentration auf die Praxis, als Lern- und Lehrhilfe, wird das Werk übersichtlicher, verständlicher und zugänglicher. Das Konzept kann und soll die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Originalen nicht ersetzen, sondern ergänzen, und richtet sich daher vornehmlich an Fechter, die mehr an der Praxis als an der wortgetreuen Interpretation, dem historischen Kontext und intertextuellen Bezügen interessiert sind.
Den Lesern wird weder mittel- oder frühneuhochdeutscher Sprachsalat noch eine fertige Interpretation aufgetischt, sondern eine solide Grundlage für die eigene Auslegung an die Hand gegeben. Ähnlich, wie der Autor in seinem Vorwort schreibt, einem Kochbuch: Selbst mit identischen Zutaten sieht das Ergebnis am Ende ja doch immer etwas unterschiedlich aus. Mit Frank Walters „Arbeitsbuch Langschwert“ haben interessierte Fechter nun jedenfalls eine leicht zugängliche, verständliche und überaus praktische Rezeptsammlung zur Verfügung, um sich Joachim Meyers Fechtkunst selbst anzueignen.

Weitere Bände in gleicher Aufmachung zu Dussack, Rapier und anderen Wehren sind in Vorbereitung. Das „Arbeitsbuch Langschwert“ ist bei shop.HistoFakt.de erhältlich.

Würzburg: Selbstverlag 2019. 112 Seiten A4, Ringbindung zur einfachen Handhabung, mit einem Anhang aus 19 einzelnen laminierten Bildtafeln in einem separaten Umschlag. ISBN 978-3-00-062792-7. € 35,80.

 

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