Kaiser Maximilian I. aus dem Hause Habsburg (1459-1519) war einer der bedeutendsten Herrscher Europas an der Schwelle zwischen Mittelalter und Neuzeit. Durch seine geschickte Heiratsdiplomatie und die Aushandlung von Erbschaftsverträgen kamen (das heutige) Belgien, die Niederlande, Spanien, Böhmen und Ungarn unter die Herrschaft seiner Familie, letzteres bis 1918. Auf dem Reichstag zu Worms setzte er 1495 eine Reform des Heiligen Römischen Reiches in Gang, die weitreichende und langanhaltende Auswirkungen auf Verwaltung, Justiz, Militär und viele andere Bereiche zeitigen sollte. In die letzten Jahre seines Lebens fiel der Beginn der Reformation in Deutschland, doch seine persönliche Tragödie erlebte Maximilian schon 1482 mit dem tragischen Tod seiner geliebten Ehefrau Maria von Burgund bei einem Reitunfall.
In vieler Hinsicht modern und aufgeschlossen, lautete sein (wohl selbst gewählter) Beiname jedoch „der letzte Ritter“. Bei allem Pragmatismus in Tages- und Reichspolitik war Maximilian doch im Innersten seines Herzens ein Romantiker. Als Humanist, Förderer von Wissenschaft und Kunst, Reformer und prunkvoller Renaissancefürst fand er Bewunderung und Verehrung (bis heute), aber als Ritter, als Bewahrer und Erneuerer von Traditionen, als letzter mittelalterlicher Held wollte er der Nachwelt in Erinnerung bleiben.
Zu diesem Zweck dienten vornehmlich die gewaltigen, prächtigen, von führenden Künstlern seiner Zeit reich illustrierten Buchprojekte, die Maximilian zwischen 1510 und 1515 in Angriff nahm. Das heute wohl bekannteste davon ist der „Weisskunig„, eine unvollendet gebliebene „Mischung aus Heldenroman, Chronik und Fürstenspiegel“ mit 251 Holzschnitten. Weit weniger bekannt sind die „Genealogie“ (92 Holzschnitte), die „Ehrenpforte“ mit einem Ausmaß von 3,4 x 2,9 m und der „Triumphzug“, der über 100 Meter lang gewesen wäre, hätte man ihn je fertiggestellt.
In direkter Beziehung zueinander und zum Leben des Herrschers stehen die beiden Heldengeschichten „Freydal“ und „Theuerdank„, von denen ersterer nun zum 500. Todestag Maximilians erstmals in einer erschwinglichen, großformatigen Gesamtausgabe erschienen ist.
Das Original befindet sich in einem verschlossenen Tresor der Kaiserlichen Hofjagd- und Rüstkammer des Kunsthistorischen Museums in Wien, und nur wenige lebende Menschen haben es bislang je zu Gesicht bekommen. Geplant waren 256 Holzschnitte, doch auch dieses Werk blieb unvollendet. Zu den daran beteiligten Künstlern zählten Albrecht Dürer, Hans Burgkmair d.Ä., Albrecht Altdorfer, mindestens ein niederländischer sowie weitere, namenlose Meister.
Das Textkonzept wurde vom Kaiser höchtspersönlich entworfen und erzählt die Geschichte des jungen Helden Freydal, einem alter ego des Autors, der zahlreiche Turniere bestehen muss, um seine treue Liebe zu einer unschwer als Maria von Burgund zu erkennenden Dame unter Beweis zu stellen.
Die 255 erhaltenen Bildtafeln dokumentieren diese Gefechte und die anschließenden „Mummereien“, also Festlichkeiten und Maskenbälle, und beziehen sich auf Veranstaltungen, an denen Maximilian tatsächlich teilgenommen hat. Seine Gegner im Kampf sind namentlich genannt und mit ihren Farben und Wappen wiedererkennbar dargestellt. Wenngleich der Inhalt stark fiktionalisiert ist, weisen die Darstellungen doch einen ausgeprägten Realismus und eine enorme Detailgenauigkeit auf.
Die 64 wiedergegebenen Turniere umfassen je zwei Bildtafeln mit Kämpfen zu Pferde, eine Abbildung zum Fußkampf und eine zum Maskenball. Die Illustrationen erfreuen dabei nicht nur mit ihrer Komposition und Farbenpracht, sie sind darüber hinaus auch eine Augenweide für Kostümhistoriker, Waffenkundler und Alle, die sich für die materielle (Hoch-)Kultur um 1500 interessieren!
Insbesondere die Rüstungen zeugen von einer Sach- und Detailkennntnis, die ohne Frage auf den direkten Einfluss des turnier- und kampferfahrenen Kaisers zurückzuführen ist. Bei den Szenen der Lanzenstechen wird meist ein dynamischer, dramatischer Moment „eingefangen“ – zersplitternde Lanzen und Schilde, ein Sturz vom Pferd –, der sich so zwar wohl nie wirklich ereignet hat, aber zumindest exakt so hätte passieren können. Die Fußkämpfe werden mit unterschiedlichen Wehren ausgeführt – Schwert, Schwert und Schild, Speer und Schild, Glefe, Dolch u.a. – und zeigen nicht einfach nur Action, sondern geben oftmals Situationen wieder, die unmittelbar aus realen Gefechten oder aus zeitgenössischen Fechtbüchern übernommen sein dürften. (Albrecht Dürer war, möglicherweise wiederum im Auftrag des Kaisers, an der Produktion eines solchen Fechtbuchs beteiligt.)
Die Bildtafeln sind mit Kommentaren in drei Sprachen in hervorragender Druckqualität wiedergegeben. Das Format der Ausgabe misst nicht weniger als 36 x 36 cm, der Buchblock von 448 Seiten ist mehr als vier Zentimeter stark, was sich zu einem Gesamtgewicht von rund 7 kg summiert!
Enthalten ist neben den vollständigen Bildtafeln ein einleitender illustrierter Text (ebenfalls in Englisch, Deutsch und Französisch) des Herausgebers Stefan Krause, Direktor der Kaiserlichen Hofjagd- und Rüstkammer, der knapp, aber sehr informativ auf die Entstehungsgeschichte des „Freydal“, Leben und Person des Kaisers, Geschichte und Formen des Turniers, Bedeutung des Werks und weitere Aspekte eingeht. Ein dreisprachiges Glossar und ein Literaturverzeichnis schließen den Band ab.
Es ist überaus zu begrüßen, dass der TASCHEN-Verlag dieses bedeutende kulturhistorische Zeugnis vom Übergang des Mittelalters zur Renaissance mehr als 500 Jahren nach seiner Konzeption erstmals einem breiten Publikum verfügbar macht. Ebenso erfreulich ist, dass es in angemessenem Format, Qualität und Ausstattung geschieht, und das zu einem Preis, der im Vergleich zu anderen Faksimiles geradezu als Schnäppchen bezeichnet werden kann!
Wer sich für die Geschichte des Turniers, historische Waffen und Rüstungen, die Kultur der deutschen Renaissance oder Kaiser Maximilian I. interessiert, sollte sich ebenso angesprochen fühlen wie Buchliebhaber. Für das Bücherregal ist dieser wunderbare Wälzer allerdings zu schade, ihm gebührt ein Ehrenplatz auf einem Lesepult oder zumindest auf dem Kaffeetisch.
Taschen-Verlag, Köln u.a. 2019. Geb., 448 S., 255 Bildtafeln, zahlr. Abb. Text auf Deutsch, Englisch und Französisch. ISBN 978-3-8365-7681-9. € 150,-.