Das Mittelalter im Südwesten

Kürzlich hatte ich auf die Themenwoche „Das Mittelalter im Südwesten“ des SWR Fernsehens hingewiesen. Inzwischen hatte ich Gelegenheit, die zweiteilige gleichnamige Dokumentation zu sehen und mir ein Urteil zu bilden.

Ganz ohne Frage hat sich der SWR große Mühe gegeben – nicht nur was die Zusammenarbeit mit Experten und living history-Darstellern betrifft, sondern auch bei Recherche und Präsentation. Moderatorin Lena Ganschow wirkt sehr sympathisch und ernsthaft an ihrem Thema interessiert, spult nicht nur ein Programm ab, sondern vermittelt echten (oder gut gespielten) Spaß an der Sache, macht einen neugierigen und faszinierten Eindruck, statt allwissende Überheblichkeit zu verbreiten wie manche ihre Kollegen.

Der erste Teil widmet sich der Welt der Ritter und Burgen – ein Thema, das viele Menschen anspricht und wohl für die gewünschten Einschaltquoten gesorgt haben dürfte. Leider aber auch ein Thema, das inzwischen reichlich abgenutzt und wiedergekaut erscheint. Da hätte ich mir vom Sender etwas mehr Mut gewünscht, sich etwa dem Handwerk, der Ernährung, Reisen, Handel, Landwirtschaft oder dergleichen zuzuwenden – vielleicht in künftigen Sendungen?

Das gewählte Thema wurde jedenfalls recht vielseitig  beleuchtet, vom Aufbau mittelalterlicher Burgen über die Herstellung und das Tragen von Rüstungen bis zu Belagerungsmethoden und der Rekonstruktion mittelalterlicher Armbruste. Immerhin wurde auch ein mittelalterliches Festmahl nachgekocht, wobei ich mir mehr Informationen über Zutaten und Zubereitung gewünscht hätte.
Die Darstellertruppe von „Anno 1476 – Städtisches Aufgebot e.V.“ machte ihren Job jedenfalls sehr gut, offenbart jedoch ein Problem der Sendung: Wie der Name schon sagt, haben sie eigentlich wenig mit Rittern und Burgen zu tun, deren Höhepunkt im 15. Jahrhundert ohnehin bereits deutlich überschritten wird. Beim Thema „Rüstung“ wurde dann auch zwischen der Präsentation eines hochmittelalterlichen Ritters mit Kettenhemd und Topfhelm und einem Darsteller in spätgotischem Harnisch (der die Beweglichkeit in „Vollplatte“ eindrucksvoll demonstrierte) hin und her gewechselt, ohne darauf hinzuweisen, dass zwischen den beiden Gestalten ein Zeitraum von etlichen hundert Jahren lag.
Überhaupt kamen konkrete Datierungen des Gezeigten und der behandelten Aspekte zu kurz bzw. gar nicht vor, so dass die rund tausendjährige Geschichte des Mittelalters (wieder einmal) als  mehr oder weniger einheitliche Epoche erschienen – irgendwie halt alles „Mittelalter“. Dabei wurde doch gleich zu Beginn darauf hingewiesen, dass es sich entgegen populärer und früherer Vorstellungen um eine dynamische Zeit der Veränderung, der Innovationen und Grundsteinlegung für spätere Entwicklungen handelte. Hier wurde eine Chance verpasst, diese Dynamik an konkreten Beispielen festzumachen – schade!
Dennoch hob sich die gesamte Gestaltung der Sendung meiner Ansicht nach wohltuend von der sonst oft üblichen Mittelalterdarstellung im deutschen Fernsehen ab. Auf Schlachtendarstellungen, reißerische Spielszenen und ähnliche Showeffekte wurde dankenswerterweise verzichtet, und von kleineren Nachlässigkeiten und Ungenauigkeiten abgesehen bot das Format solide Information für ein interessiertes Publikum.

Der zweite Teil befasste sich mit dem Konzil von Konstanz 1414-1418 und der Stadt, in der es tagte. Hier waren die historischen Darsteller eindeutig besser aufgehoben, und die Beschränkung auf einen konkreten Raum und eine enge Zeitspanne machten es der Redaktion ohne Frage leichter, das Problem der historischen Verortung des Gezeigten und der Wiederholung von Jahreszahlen zu umschiffen.
Historischer Alltag, Ernährung, Glaube, Bekleidung, Handel und Handwerk wurde hier zumindest schlaglichtartig kurz beleuchtet. Außerdem kamen die anhaltende Faszination am Mittelalter, seine moderne Verklärung und Reduktion auf Rittertum und Kriegswesen zur Sprache, u.a. am Beispiel eines jährlichen „Mittelaltermarkts“ in Angelbachtal.

Ebenfalls Teil der Themenwoche war eine Ausgabe der Sendung „Planet Wissen“, in welcher der Aachener Unternehmer Bert M. Geurten sein Projekt „karolingische Klosterstadt Campus Galli“ vorstellen durfte. Angesichts der seit einiger Zeit von verschiedenen Seiten zunehmenden Kritik und insbesondere der jüngsten Vorwürfe der Misswirtschaft und Verschwendung von Steuergeldern (u.a. durch den Bund der Steuerzahler) hätte ich mir an dieser Stelle mal einige kritische Fragen und ein wenig Aufklärung gewünscht. Doch das passte wohl nicht zum Wohfühl-Konzept der Sendung, und so hatte der Zuschauer wieder einmal den Eindruck, einer Werbesendung mit zwei dauergrinsenden Moderatoren und einem onkelhaften Unternehmer beizuwohnen, der ganz selbstlos und uneigennützig der Welt und insbesondere der Tourismus-Region Bodensee ein visionäres mittelalterliches Erlebnisprojekt schenkt.
Mit Ungereimtheiten und dem Propagandagehalt der Sendung hat sich Hiltibold hinreichend auseinandergesetzt. 

Über die Seite des SWR zum „Mittelalter im Südwesten“ gibt es noch einige weitere Links und kürzere, z.T. ältere Clips und Videos zu sehen. Ich finde es sehr begrüßenswert, dass sich der Sender mit diesem Thema auseinandersetzt und halte die Umsetzung bei aller vorsichtigen Kritik durchaus für gelungen. Es bleibt zu hoffen, dass der SWR seine Bemühungen in dieser Hinsicht fortsetzt und vielleicht anderen Sendern ein gutes Beispiel liefert. Dafür drücke ich die Daumen!

Weitere Filme und Ausschnitte auch auf dem YouTube-Kanals des SWR.

Fundstücke KW 16/17

Etwas verspätet hier die Netz-Fundstücke der vergangenen beiden Wochen.

Ein Historikerduo hat im renommierten Verlag C.H. Beck einen Band über große Seeschlachten der Weltgeschichte veröffentlicht. Bei der Lektüre fiel einem Leser (ebenfalls Historiker) auf, dass zumindest Teile des Werkes direkt aus Artikeln der Wikipedia übernommen worden waren. Er schrieb daraufhin am 22. April auf seiner Facebook Seite (inzwischen bearbeitet), das Buch sei „vollständig aus Wikipedia-Einträgen zusammenkopiert“.
Das ist eine starke Formulierung und eine heftige Anschuldigung. Befremdlich jedoch auch die Reaktion der betroffenen Autoren, die ihr Vorgehen als durchaus gängig bezeichnen und kein Fehlverhalten ihrerseits erkennen können. Nun ist es natürlich durchaus üblich, Informationen und unter Umständen auch ganze Formulierungen aus anderen Werken – sei es Forschungsliteratur, der Brockhaus oder eben auch Wikipedia – zu übernehmen. Doch das Mindeste in Sachen wissenschaftlicher Ethik wie auch juristischer Absicherung ist es eigentlich, solche Übernahmen kenntlich zu machen.
Der Fall zieht jedenfalls zunehmend weite Kreise, die weitere Entwicklung und ein mögliches Gerichtsverfahren dürften spannend und vielleicht sogar relevant für ähnliche Fälle werden.

 

Mit Kommentaren und Kritik zu den Vorgängen auf der Karolingischen Klosterstadt „Campus Galli“ habe ich mich bislang zurückgehalten – nicht zuletzt, weil Andere schon genug darüber geschrieben haben. Auffallend und ärgerlich sind jedoch die anhaltende Geheimnistuerei und der offensichtliche vollkommene Unwille des Betreibers Herrn Geurten und seines Kompagnons, des Messkircher Bürgermeisters Arne Zwick, sich mit seriöser Kritik und den Vorwürfen der Steuerverschwendung auch nur auseinanderzusetzen. Hier (mal wieder) ein Beitrag von Hiltibold:

Armbanduhr mit Taschenrechner? Mobiltelefon mit Zusatzfunktionen? Alte Hüte! Bereits im 17. Jahrhundert beschäftigte man sich mit der Idee von wearable technology:

http://fashionablygeek.com/jewelry/the-nerdiest-ring-of-the-17th-century/#!ECGYE

 

Mal wieder: Mittelalter im TV

Am 27. April 2014 widmet das SWR Fernsehen einen Thementag dem „Mittelalter im Südwesten„. Begleitend dazu laufen die ganze Woche über Beiträge in verschiedenen Formaten. Das Themenspektrum deckt mit dem Konstanzer Konzil (1414-1418) oder den Rittern und ihren Turnieren auch die großen aktuellen Ausstellungen in den Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museen, im Museum zu Allerheiligen in Schaffhausen sowie in Konstanz ab (mehr dazu im Blogbeitrag vom 17. April).

Das Mittelalter im Südwesten | (c) SWR

Das Mittelalter im Südwesten | (c) SWR

Ein eigener Beitrag beschäftigt sich mit dem Projekt „Karolingische Klosterstadt“ in Messkirch, wo der Aachener Unternehmer Bert M. Geurten dank Finanzierung von EU, Land und Stadt den St. Gallener Klosterplan aus dem 9. Jahrhundert in die Realität umsetzen will. Das Unternehmen ist im Lauf des vergangenen Jahres zunehmend in die Kritik (u.a. vom Bund der Steuerzahler) geraten, scheint mehr oder weniger pleite zu sein und muss daher wohl bereits mit zusätzlichen Steuergeldern unterstützt werden.
Während zahlreiche lokale und regionale Printmedien die kritischen und warnenden Stimmen seit geraumer Zeit geflissentlich ignorieren und lieber kommentarlos die (zahlreichen) PR-Verlautbarungen des Herrn Geurten veröffentlichen, bleibt abzuwarten, ob sich der (öffentlich-rechtliche) SWR in seiner Berichterstattung etwas kritischer zeigt.

An der Mittelalter-Reihe des Senders sind auch die Sendungen Odysso und Planet Schule bezeichnet. Letztere wird sich im Oktober noch einmal intensiv dem Thema „Mittelalter“ zuwenden, doch Beiträge zu „Das Mittelalter-Experiment“ sind online bereits jetzt abrufbar. Aus der Programmbeschreibung:

„Das Mittelalter – rückständig, kulturlos und finster. Diese Vorstellung über eine fast 1000 Jahre dauernde Epoche hält sich hartnäckig in unseren Köpfen.
Die sechsteilige Reihe von Planet Schule zeigt ein differenziertes Bild: Sie nimmt die Zuschauer mit auf eine Entdeckungsreise durch ein faszinierendes Zeitalter mit erfindungsreichen, gläubigen und zugleich sehr pragmatischen Menschen. Die Filme blicken aus der Perspektive der heutigen Mittelalterforschung auf mittelalterliches Leben, Kultur und Alltag.
Experimente, sorgfältige Reenactments und spektakuläre 3D-Animationen lassen das Mittelalter lebendig werden.“

Ich bin gespannt – immerhin werden fast gleich lautende Behauptungen auch regelmäßig von anderen Geschichtssendungen aufgestellt und dann doch oft genug nicht einmal ansatzweise in die Tat umgesetzt. Allerdings lässt die Beteiligung namhafter Darsteller und Unternehmen wie z.B. „Geschichtsfenster“ sowie die Tatsache, dass man sich für die Dreharbeiten offenbar viel Zeit gelassen und Vorschläge oder Einwände der Beteiligten ernst genommen hat, auf qualitativ hochwertigeres TV-„Edutainment“ hoffen.

Hier noch einmal die Links im Einzelnen:

 

Ausstellungen 2014: Die Renaissance im Museum

Das hundertjährige Jubiläum des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs dominiert in diesem Jahr einen größten Teil der medialen Berichterstattung zum Thema „Geschichte“ sowie die thematischen Schwerpunkte der meisten Wechselausstellungen in den großen wie auch kleineren Museen. Daneben gibt es jedoch ein weiteres bedeutendes Jubiläum, das für den Mediävisten von erheblich größerem Interesse ist, nämlich 600 Jahre Konzil von Konstanz (1414-1418). Absetzung eines Papstes, Resignation eines zweiten, Wahl eines dritten, Verurteilung und Verbrennung des böhmischen Reformators Jan Hus – das Konzil war ein nicht nur kirchen-politisches Weltereignis. Für die Stadt Konstanz war es zudem ein gewaltiges „Event“, das nicht zuletzt ungeahnte logistische Herausforderungen mit sich brachte.

Konzilssitzung im Münster. Aus Ulrich Richental, Chronik des Konzils von Konstanz

Konzilssitzung im Münster. Aus Ulrich Richental, Chronik des Konzils von Konstanz

Über die Ereignisse des Konzils, aber auch über die Namen der Beteiligten und Gäste, Verlustigungen, die Zahl der Huren und fahrbaren Backöfen, Zimmerpreise und vieles mehr sind wir durch zahlreiche Augenzeugenberichte gut unterrichtet, darunter die berühmte Chronik des Ulrich Richental. Der Geschichte des Konzils widmet sich die große Landesausstellung, die am 27. April in Konstanz eröffnet wird. Mit einem umfangreichen Rahmenprogramm sowie kleineren Begleitausstellungen verspricht die Stadt Konstanz ein Großereignis, das einem historischen Anlass in keiner Weise nachsteht. Ich hoffe, eines Tages aus erster Hand berichten zu können. Hier erst einmal einige Links:

Ebenfalls zum Rahmenprogramm der Konstanzer Konzilsausstellung gehören die Ritterspiele von Schaffhausen vom 10. bis zum 20. Juli 2014. Auf dem Herrenacker, wo bereits im späten Mittelalter Turniere stattfanden, sollen „die besten Turnierreiter der Welt“ (Eigenwerbung) die alte Festkultur wieder aufleben lassen.

Das Turnier bildet wiederum einen teil des Rahmenprogramms zur Ausstellung „Ritterturnier – Geschichte einer Festkultur“ im Schaffhausener Museum zu Allerheiligen. Gezeigt werden Rüstungen und andere Objekte, daneben sollen die Ausbildung der Knappen, die Rolle der Frauen, Gericht und Strafe, der glanzvolle Rahmen mit Musik, Tanz und Bankett sowie sogenannte „Scherzturniere“ präsentiert werden.
Für den spätmittelalterlichen Flair soll in erster Linie die berühmte „Company of Saynt George“ sorgen. Die Truppe um Gerry Embleton und John Howe braucht in der Reenactment-Szene vermutlich keine Vorstellung mehr. Sie wird ihr Lager im Kreuzgang aufschlagen und Alltagsleben, altes Handwerk, militärischen Drill und mehr darstellen. Ich bin gespannt!

Links:

Turnier und Ausstellung in Schaffhausen stehen wiederum in Zusammenhang mit der großen Ausstellung der Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim: „Kaiser Maximilian I. Der letzte Ritter und das höfische Turnier„.
Kaiser Maximilian I. (1459 – 1519) aus dem Hause Habsburg war nicht zuletzt durch seine Heirat mit Maria von Burgund (1457-1482) zu einem der mächtigsten Herrscher Europas aufgestiegen. Einerseits inszenierte er sich gerne als „letzter Ritter Europas“ und bemühte sich, die längst im Untergang begriffene Ritterkultur wieder aufleben zu lassen. Andererseits schuf er eine moderne Verwaltung nach dem Vorbild Burgunds und eine moderne Armee, die auf Kanonen statt Panzerreiter setzte.

Maximilian I. Porträt von Albrecht Dürer (1519)

Maximilian I. Porträt von Albrecht Dürer (1519)

Die Ausstellung in Mannheim (13. April bis 9. November 2014) zeigt zahlreiche Objekte aus dem Kunsthistorischen Museum Wien, darunter Rüstungen, Waffen und andere Gegenstände aus der Welt der höfischen Turniere und Feste des 15. und 16. Jahrhunderts. Darunter befinden sich auch die illustrierten, pseudo-autobiographischen Handschriften, in denen sich Maximilian als siegreicher und heldenhafter Turnierritter porträtieren ließ.
Auch zu dieser Ausstellung gibt es natürlich ein umfangreiches Begleitprogramm mit Führungen, Handwerksdarbietungen, Vorträgen etc. Links:

Für Fans des Spätmittelalters und der Renaissance in Deutschland gibt es also dieses Jahr allerhand zu sehen. Ich hoffe sehr, bald aus eigener Anschauung über die drei Ausstellungen in Konstanz, Schaffhausen und Mannheim berichten zu können. Einstweilen freue ich mich über Kommentare von Lesern, die schon die eine oder andere Veranstaltung besucht haben.

 

Fundstücke KW 15

Das Blog „Medien im Geschichtsunterricht“ von Daniel Bernsen kann ich nicht nur (angehenden) GeschichtslehrerInnen empfehlen. Diese Woche hat er seine ganz eigenen Fundstücke aus Trier und Koblenz mitgebracht. Ich zitiere:

„Was man damit im Unterricht anfangen könnte, weiß ich auch nicht. Vermutlich eher wenig, nichtsdestotrotz sind beide Darstellungen ebenso ungewöhnlich wie erheiternd, dass sie einen kurzen Hinweis im Blog verdient haben.“

Lieber Herr Bernsen, ich weiß es auch nicht – aber ich stimme Ihnen zu!

Vor einigen Wochen war ich mit einigen Freiwilligen als Vertreter des Histotainment Parks Adventon bei Tigerenten Club des SWR. Das Ergebnis kann man sich jetzt hier anschauen:

Eher Off Topic, aber sehr amüsant fand ich diese Woche eine Schlagzeile auf Spiegel Online:

Steuernachzahlung: Gott verliert Streit um Anwaltskosten

Gemeint war allerdings nicht der Allmächtige, sondern ein bekannter tschechischer Schlagersänger …

 

Fundstücke KW 14

Ausgerechnet am 1. April las ich eine Meldung, die sich leider als wahr herausstellte: In Paris ist im Alter von 90 Jahren der große französische Historiker Jacques Le Goff (*1.1.1924) verstorben.

Jacques Le Goff (1.1.1924-1.4.2014) via medievalists.net

Jacques Le Goff (1.1.1924-1.4.2014) via medievalists.net

Le Goff war einer der bedeutendsten Mediävisten der Gegenwart und Mitherausgeber der Zeitschrift „Annales“. An der Pariser École des Hautes Études en Sciences Sociales (EHESS) lehrte er von 1962 bis zu seiner Emeritierung 1977, seit 1972 als Nachfolger von Fernand Braudel.
Auch außerhalb der Universität war Le Goff sehr aktiv. Mit seinen zahlreichen Publikation, Auftritten, Vorträgen etc. trug er wesentlich dazu bei, die moderne Mediävistik zu definieren und einem breiten Publikum bekannt zu machen.
Für mich persönlich zählten seine Schriften zu den prägendsten und inspirierendsten Arbeiten des Fachs. Die Welt hat einen der leidenschaftlichsten Vertreter der Mittelalterforschung verloren.

Hier eine Auswahl von Nachrufen und Würdigungen:

Hiltibold hat sich in der vergangenen Woche mit „gesunder“ Ernährung im Mittelalter, Diätetik und Humoralpathologie beschäftigt:

Auf medievalists.net gab es einen interessanten Aufsatz zum mittelalterlichen Zeitverständnis:

Und wer das nötige Kleingeld übrig hat, findet in Frankreich eine wunderschöne kleine Burg aus dem 13. Jahrhundert zum Verkauf – für gerade mal € 3,2 Mio. Hm, mal abwarten, was die Steuerrückzahlung bringt …

 

Fundstücke KW 13

Noch einmal Sutton Hoo: Vergangene Woche lautete die Meldung, britische Archäologen hätten möglicherweise den Hof des dort bestatteten Herrschers gefunden. Nun wurde im British Museum in London eine neue Galerie eingeweiht, in der die bisherigen Funde aus dem angelsächsischen Bootsgrab neu und modern präsentiert werden, berichtet Der Standard:

Hintergründe und Infos auch im Blog des British Museum:

In Karfunkel 111 erscheint am 31. März ein Artikel von mir über das noch immer rätselhafte Bootsgrab von Sutton Hoo.

Mit der Art und Weise, wie Geschichte und Archäologie im deutschen Fernsehen präsentiert werden, bin ich bekanntlich nicht immer ganz glücklich (siehe die zahlreichen Beiträge zum Thema hier im Blog). Dass es noch wesentlich schlimmer geht, beweist in den USA gerade (ausgerechnet!) National Geographic: Die Sendereihe „Nazi War Diggers“ begeht in Osteuropa Raubgräberei, Leichenfledderei und wer weiß was sonst noch alles. Damit setzt sich Rainer Schreg in seinem Blog archaeologik kritisch auseinander (mit zahlreichen weiterführenden Links):

Eine Meldung, die im Lauf der Woche auf den einschlägig bekannten Internet-Plattformen die Runde machte, nach der die Grabstätte des Hunnenherrschers Attila gefunden worden sein soll, stammt von einer Satire-Seite.

Hier noch ein PDF-Dokument zum Download: Adam Howard, Jeremy Kibby, Daniel Robertson und Alex Scanlon, The Evolution of Arms and Armor during the Crusades 1095-1291 C.E. (via medievalists.net).

Ganz wichtig: Montag, der 31. März ist „Hug a Medievalists-Day“ oder „Umarme einen Mediävisten-Tag“.

Kulturpessimismus und Rechtschreibung

Der Untergang des Abendlandes … ist ja nun auch schon gut und gerne seit einem Jahrhundert im Gange. Kulturpessimismus scheint eine menschliche Veranlagung zu sein, und Klagen über faule, aufmüpfige, dumme, unfähige, unverschämte, sich dem Trank und der Hurerei hingebende Studenten gehören einfach dazu. Die ältesten Belege dafür stammen aus dem antiken Ägypten, die jüngsten finden sich ungefähr im Wochenrhythmus in der einschlägig bekannten bürgerlich-konservativen Presse.

Aber nur, weil Kulturpessimismus gewissermaßen zum Klischee verkommt, müssen ja einzelne kulturpessimistische Analysen oder Befunde nicht unbedingt falsch sein. Konkretes Beispiel: Sprache und Rechtschreibung, insbesondere unter denen, denen eine „allgemeine Hochschulreife“ attestiert wird.

Liest man mal einen Tag lang Beiträge auf Facebooks, Blogkommentare, Foreneinträge von (nur so als Beispiel) Geschichtsstudenten, so drängt sich der Eindruck vom linguistischen oder rhetorischen Untergang des Abendlandes durchaus auf. Von Bewerbungsschreiben, Seminararbeiten u.ä. gar nicht erst zu reden! Da zählt dann auch die Ausrede „hab‘ ich schnell auf’m Handy getippt“ nicht mehr, dann stellt sich nur noch die Frage: Unwille oder Unfähigkeit? Soll heißen: Sind den durchschnittlichen Studierenden in Deutschland solche banalen, bourgeoisen, undemokratischen kulturellen Errungenschaften wie die Regeln der Grammatik und Orthographie inzwischen schlicht und einfach egal – oder sind sie gar nicht in der Lage, diese zu befolgen?
Sollte letzteres der Fall sein, ist natürlich weiter zu fragen: Woran liegt das? An mangelnden intellektuellen Fähigkeiten? (Dann ist das Abendland wohl nicht mehr zu retten.) An mangelnder Übung und Praxis? Oder an Defiziten im Deutschunterricht?

Um hier niemanden länger auf die Folter zu spannen: Ich weiß es nicht. Ich bin weder im Schuldienst noch an einer Universität beschäftigt (und danke dem Schicksal täglich dafür!). Ich kann lediglich den Befund anderer bestätigen und meine persönliche Vermutung aussprechen: Etwas mehr als einhundert Jahre, nachdem die Regeln der deutschen Rechtschreibung erstmals verbindlich festgelegt wurden, breitet sich in wachsenden Bevölkerungsschichten – längst nicht nur unter Studierenden – die Ansicht aus, dass es sich dabei um eine elitäre Konvention handelt, die kreative Geister in ihrer freien Entfaltung behindern und zu gleichgeschalteten, vorhersagbaren, kontrollierbaren Untertanen machen soll.
In der Sprache und auf Autobahnen praktiziert der obrigkeitshörige Deutsche lieber Anarchie.

Nun, mag sein, dass ich mich irre. Die Politikwissenschaftlerin Hannah Bethke aus Greifswald jedenfalls sieht in einem Beitrag in der F.A.Z. die Schuld praktisch ausschließlich bei den Studierenden selbst bzw. beim deutschen Bildungssystem:

„An deutschen Schulen und Universitäten hat eine systematische Niveaunivellierung stattgefunden, die das Ergebnis einer wachsenden Scheu ist, den Lernenden gegenüber Grenzen zu ziehen, schlechte Leistungen als solche zu benennen, Unterschiede zu sehen und zu akzeptieren, anstatt allen – ob sie dafür geeignet sind oder nicht – alles eröffnen zu wollen.“

 

„In der erschütternden Unkenntnis der deutschen Orthographie drückt sich nicht nur aus, dass offensichtlich kaum noch Bücher gelesen werden. Sie spiegelt auch ein Problem wider, das mit der Abschaffung des Frontalunterrichts – die, man glaubt es nicht, im Jahr 2014 immer noch als innovativ angepriesen wird – eingetreten ist: Der Verzicht auf Anleitung führt dazu, dass eine Fehlerkontrolle ausbleibt und die Schüler in ihrem oftmals falschen Selbstbild von ihren Leistungen nicht nur bestärkt, sondern paradoxerweise gleichzeitig auch alleine gelassen werden. Allzu oft wird an den Universitäten dieses Problem nicht etwa behoben, sondern durch die (verantwortungslose!) inflationäre Vergabe guter Noten fortgesetzt.“

Wie gesagt, ich bin kein Dozent und kann daher die Analyse nur in Teilen nachvollziehen (ich weiß z.B. nicht, ob es eine „inflationäre Vergabe gute Noten“ gibt oder nicht). Der Historiker Andreas Frings jedenfalls teilt den zugrundeliegenden Befind ebenfalls, hat jedoch an der kulturpessimistischen Perspektive Bethkes einiges auszusetzen.

Die Wahrheit wird, wie so oft, irgendwo dazwischen liegen.

Im Jahr 1995 schlug der aus Brasilien stammende Autor Zé do Rock in seinem Buch „fom winde verfeelt“ eine schrittweise Reform und Vereinfachung der deutschen Rechtschreibung vor, die er „Ultradoitsh“ nannte:

„Das Ultradoitsh-S-Projekt sieht 2 Änderungen pro Jahr vor, bis zum Jahr 2012. Jede Änderung sollte durch eine Volksabstimmung bestätigt werden. Die alte Schreibweise wär parallel gültig, bis der letzte, der so schreibt, ausgestorben is. Im Buch wird am Anfang eines jeden Kapitels eine neue Änderung eingeführt und danach geschrieben.“

Wenn ich mir das Werk nun (im Jahr 2014) wieder vornehme, scheint Zé do Rocks Reform abgeschlossen zu sein und zunehmend praktiziert zu werden:

„tuvalu is a klizeklaine land mit 6000 wonis. de haupinsel is draiti kilometa lang un zwaihundat meta brait. de land is doppel so grosz bai ebbe, wail doppel so brait. de insele sind atolle, de maiste wonis hat no ni a strasze sen, de bergauf oda bergab ge. dei hat no ni a hygel sen. de republik hat ain restoran un ain strasze. fyr taxifaris ser ainfac: de fargast staig ain, de fari fra: forwerts oda zuryk?“


Wikinger im ZDF

Angesichts des Titels zeigten meine Fußnägel wieder einmal Tendenzen des Einrollens: „Terra X Große Völker: Die Wikinger„. Arrgh! Die Wikinger waren vieles, aber ein Volk?

Doch um es vorweg zu nehmen: So schlimm, wie befürchtet, war die 45 minütige Doku dann am Ende nicht. Vielleicht lag es an Prof. Rudolf Simek, der als Berater der Sendung fungierte und auch selbst als Experte auftrat. Ließen die ersten Minuten noch befürchten, es würde nur wieder einmal das Klischee von den wilden Barbaren aus dem Norden, den brutalen Plünderern, Schlächtern und Vergewaltigern bemüht, entwickelte sich doch im weiteren Verlauf eine recht ausgewogene und verschiedene Aspekte berücksichtigende Betrachtung. Die nordische Mythologie und Religion sowie die ambivalente Haltung der Skandinavier zum Christentum wurden ebenso thematisiert wie Gesellschafts- und Herrschaftsstrukturen oder Rechtsprechung.
Großen Raum nahmen erwartungsgemäß die Entdeckungsfahrten und Staatsgründungen der Wikinger ein. Dabei hätte ich mir jedoch (wie ganz allgemein bei wichtigen Ereignissen oder Entwicklungen) etwas mehr Chronologie und die Nennung der einen oder anderen Jahreszahl gewünscht. Warum allerdings zum Thema „Normandie“ die gotische Kathedrale von Mont St. Michel das Bild beherrschte, weiß wohl nur die Regisseurin.

(C) ZDF / Nadine Klement

(C) ZDF / Nadine Klement

Natürlich kommt keine Folge von Terra X ohne Spielszenen aus. Diese waren recht manierlich anzusehen, ohne weiteres Einrollen von Zehennägeln oder lautes Zähneknirschen. Natürlich wirkten die wilden Krieger eher ungepflegt, wo doch die Zahl der gefunden Kämme und anderen Utensilien der Körperpflege eher darauf schließen lassen, dass es sich bei den Wikingern um eine Art eitle frühmittelalterliche Dandies gehandelt haben muss.
Fellumhänge und Trinkhörner entsprechen wohl auch eher einer populären Vorstellung als dem aktuellen Forschungsstand, doch dafür wirkten die übrige Bekleidung und Ausstattung hinreichend authentisch. Wünschenswert wäre gewesen, etwas näher auf diese einzugehen, wie etwa auch auf das Handwerk der Wikinger (abgesehen vom Schiffbau). Doch natürlich ist es nicht möglich, in 45 Minuten erschöpfend alle Aspekte einer vergangenen Kultur zu behandeln.

(c) ZDF / xkopp

(c) ZDF / xkopp

Alles in allem war ich also von „Große Völker: Die Wikinger“ recht angenehm überrascht. Kein Meisterwerk zwar, kein revolutionäres Format, keine Sendung, die nun meine Meinung über die Geschichtskompetenz des Zweiten Deutschen Fernsehens grundlegend auf den Kopf gestellt hätte. Aber immerhin mal eine Mittelalterdoku, die meine (inzwischen sehr niedrigen) Erwartungen an Geschichte im Fernsehen nicht völlig enttäuschte – kleine Schritte!
Als wirklich störend, ärgerlich, unsinnig und geradezu dämlich empfand ich lediglich die gelegentlich eingestreuten Cartoons. Nicht nur passten die krakeligen Figuren überhaupt nicht zum übrigen Stil der Dokumentation, sie entsprachen auch mit ihren Hörnerhelmen und sonstigen Klischees genau jenem Bild der Wikinger, gegen das sich der Rest der Sendung doch eigentlich explizit (in Form von Wagners Germanen oder Wiki & die starken Männer) richtete. Sollte das witzig oder ironisch sein? In meinen Augen wirkte es allenfalls lächerlich und infantil, eher auf dem Niveau alberner, billiger Kindersendungen als dem, was diese Folge von Terra X ansonsten zu bieten hatte.

Hier gibt es offizielle Infos und Videoclips zur Sendung.

 

Fundstücke KW 12

In Karfunkel 111 erscheint im April 2014 ein Beitrag von mir über das noch immer rätselhafte angelsächsische Bootsgrab von Sutton Hoo. Darin vertrete ich (wie viele andere vor mir) die These, dass es sich bei dem Bestatteten um Raedwald, den König von East Anglia handelt.
Nun haben Archäologen in der Nähe der Anlage möglicherweise den zugehörigen Königshof entdeckt:

De Re Militari hat einen interessanten Beitrag von David Eltis über spätmittelalterliche Stadtbefestigungen in Deutschland (zuerst erschienen 1989 in Nottingham Medieval Studies):

Auf Kickstarter hat Jim Rodda alias „Zheng3“ eine Kampagne gestartet, um eine mittelalterliche Rüstung für Barbie-Puppen zu entwerfen und mittels 3D-Drucker zu produzieren:

Und noch was zum Nachdenken: Kurt Tucholsky über Geschichtswissenschaft (auf schmalenstroer.net):