Fundstücke KW 51

Auf der Liste zur Wahl des Wissenschaftsblogs des Jahres 2014 stehen auch zwei Blogs zur Geschichte: Rainer Schregs archaeologik und mittelalter.hypotheses.org. Abstimmen geht schnell und kostet nichts …

Vergangene Woche wies ich auf die Petition zum Erhalt des Lehrstuhls für Archäologie an der Universität des Saarlands hin. Nun soll es auch dem renommierten Lehrstuhl für rheinische Landesgeschichte an der Universität Bonn an den Kragen gehen. Auch dagegen gibt es eine Petition.

Bereits am 4. Dezember zeigte der Bildungssender RTL das „Historiendrama Götz von Berlichingen„. Zugegebenermaßen ist dieses Großereignis des Geschichtsfernsehens unbemerkt an mir vorüber gegangen, doch ich möchte hier zumindest einen Teil der Beschreibung nachliefern:

Berühmt und berüchtigt und ein unverbesserlicher Frauenheld: Henning Baum verkörpert im TV-Event „Götz von Berlichingen“ den Raubritter mit der eisernen Hand. Der Historienfilm spielt im 16. Jahrhundert. […]
Als Götz von Berlichingen Kisten mit Goldmünzen des französischen Königs erbeutet, wird ihnen die Brisanz ihres Fundes erst klar, nachdem sie sicher ihre Burg erreicht haben. […] Im Kampf verliert Götz seine rechte Hand – er überlebt nur mit Hilfe der geheimnisvollen Heilerin Saleema (Dennenesch Zoudé). Der Ritter schafft das Unmögliche: Mit seiner eisernen Hand erkämpft er sich nicht nur seine alte Stärke zurück, sondern findet auf diesem Weg auch treue Weggefährten und nicht zuletzt die Unterstützung der Bauern. […]

Den Rest mag sich Jede/r anhand des zugehörigen Fotos selbst zusammenreimen:

Götz von Berlichingen (Henning Braun) und die "geheimnisvolle Heilerin Saleema" (Dennenesch Zoude). (c) RTL

Götz von Berlichingen (Henning Braun) und die "geheimnisvolle Heilerin Saleema" (Dennenesch Zoude). (c) RTL

Ich hoffe, damit ist nun endgültig der absolute Tiefpunkt der Geschichtsdarstellung im Fernsehen erreicht …

A propos Mittelalter im TV: Auf der Facebook-Seite von EpochenKochen gibt es die offiziellen Bilder von den Dreharbeiten zur gleichnamigen Sendung, an der HistoFakt. Historische Dienstleistungen mitgewirkt hat. Die Sendung ist am zweiten Weihnachtstag ab 14.15 Uhr im SWR Fernsehen zu sehen. Darüber berichtet u.a. das Mittelaltermagazin „Praeco Medii Aevi“.

Fundstücke KW 27

Hans-Ulrich Wehler war ohne Frage einer der profiliertesten, bekanntesten und streitbarsten Historiker Deutschlands. Durch die kahlen Gänge der Universität Bielefeld wehte auch noch zu meiner Studienzeit sein Geist, wenngleich er da selbst bereits emeritiert war. An der von ihm mitbegründete kritischen Sozialgeschichte der „Bielefelder Schule“ hält man dort noch immer gerne fest, wenngleich ihre Methoden und Ansichten inzwischen bereits etwas verstaubt, um nicht zu sagen: vermodert müffeln. Aber das ist natürlich nicht dem Manne anzulasten, der sie vor 40 Jahren als damals zeitgemäße Form der Geschichtsschreibung mit ins Leben gerufen und wesentlich geprägt hat.
Am Samstag, den 5. Juli 2014 ist Hans-Ulrich Wehler im Alter von 82 Jahren in Bielefeld verstorben: Nachruf auf Spiegel Online.

Am Wolfgangsee wurden 2009 die Überreste einer Pilgerherberge aus dem 17. Jahrhundert entdeckt. Die Ausgrabungen, Untersuchungen, Vermessungen mit Hilfe von Bodenradar etc. dienten nun als Grundlage für die dreidimensionale virtuelle Rekonstruktion der Unterkunft, berichtet derstandard.at.
Hier gibt es weitere Informationen und Bilder des Forschungsprojekts: „Auf den Spuren des heiligen Wolfgang„.

Aus einem Götzen wird ein Heiliger, aus einem heidnischen Heiligtum eine Kirche: So geschehen im 10. Jahrhundert in Harsefeld bei Stade, wie Angelika Franz auf Spiegel Online berichtet.

Wunderbar passend zum Thema eines Artikels, an dem ich gerade arbeite, verlinkt Hiltibold aus Graz den Aufsatz Morten Hegewisch: Lampen im Barbaricum. Ein Beitrag zur Beleuchtung in germanischen Siedlungen, in: Tanya Armbruester/Morten Hegewisch (Hgg.), Beiträge zur Vor- und Frühgeschichte der iberischen Halbinsel und Mitteleuropas (Studien zur Archäologie Europas 11), Bonn 2010, S. 193-228. (Via academia.edu, Download (pdf) nach Anmeldung.)

Außerdem hat Hiltibold wieder interessante Podcasts und Audiofiles gesammelt.

 

Fundstücke KW 24

"Die bis jetzt älteste Hose der Welt. Man beachte den weiten Schnitt im Schritt, der das Beinkleid zur idealen Reiterhose machte." foto: mayke wagner, dai peking (via derstandard.at)

"Die bis jetzt älteste Hose der Welt. Man beachte den weiten Schnitt im Schritt, der das Beinkleid zur idealen Reiterhose machte." foto: mayke wagner, dai peking (via derstandard.at)

 

 

Fundstücke KW 19

Folgende Links und Seiten sind mir im Lauf der Woche ins Netz gegangen:

Zunächst die Entdeckung und Ergrabung einer sächsischen Befestigung des 6.-10. Jahrhunderts an der Schwinge bei Stade:

Die Umwelthistorikerin Verena Winiwarter wurde vom Club der Wissenschaftsjournalisten zur Wissenschaftlerin des Jahres 2013 gewählt. Unter der Überschrift „Lehren aus der Umweltgeschichte“ gibt es auf kurier.at einen Blick auf ihre jüngste Publikation (zus. mit Hans-Rudolf Bork), Die Geschichte unserer Umwelt. Eine Weltreise in 60 Stationen, Darmstadt: Primus Verlag 2014, sowie ein Porträt der Forscherin.

In der Kathedrale von Durham bieten archäologische Funde interessante Einblicke in vergangene Ernährungsgewoghnheiten:

Hiltibold hat wieder etliche Audiobeiträge zusammengetragen, u.a. zum Konstanzer Konzil und zum Kloster Lorsch:

Die bereits erwähnte Plagiatsdebatte („Radergate“) zieht noch immer und zunehmend größere Kreise. Zunächst (am 5. Mai) greift Patrick Bahners in der FAZ den Verlag C.H. Beck und insbesondere den Autor Olaf Rader an.
Fehler, Schwächen und Unsinnigkeiten der Argumentation Bahners nimmt dann Martin Bauch auf mittelalter.hypotheses.org ins Visier.
Dessen Ansichten kann wiederum Klaus Graf von Archivalia nicht nachvollziehen …

In seinem Artikel bezeichnete Patrick Bahners zudem die Mittelalterarchäologie als „hochspekulative Wissenschaft“. Das ist natürlich Unsinn (s.o.), und so sieht es auch Maxi Maria Platz:

Ist das nun alles Zirkus und Kindergarten oder steht tatsächlich die Zukunft geisteswissenschaftlicher Forschung auf dem Spiel? Muss man Position beziehen? Können (dürfen?) wir zum Tagesgeschäft zurückkehren oder gilt es, nun alle historischen Sachbücher der vergangenen zehn Jahre sorgfältig nach geklauten Satzfetzen zu durchwühlen?
Ich persönlich widme mich lieber wieder meiner Arbeit und wünsche eine angenehme Woche!

Fundstücke KW 16/17

Etwas verspätet hier die Netz-Fundstücke der vergangenen beiden Wochen.

Ein Historikerduo hat im renommierten Verlag C.H. Beck einen Band über große Seeschlachten der Weltgeschichte veröffentlicht. Bei der Lektüre fiel einem Leser (ebenfalls Historiker) auf, dass zumindest Teile des Werkes direkt aus Artikeln der Wikipedia übernommen worden waren. Er schrieb daraufhin am 22. April auf seiner Facebook Seite (inzwischen bearbeitet), das Buch sei „vollständig aus Wikipedia-Einträgen zusammenkopiert“.
Das ist eine starke Formulierung und eine heftige Anschuldigung. Befremdlich jedoch auch die Reaktion der betroffenen Autoren, die ihr Vorgehen als durchaus gängig bezeichnen und kein Fehlverhalten ihrerseits erkennen können. Nun ist es natürlich durchaus üblich, Informationen und unter Umständen auch ganze Formulierungen aus anderen Werken – sei es Forschungsliteratur, der Brockhaus oder eben auch Wikipedia – zu übernehmen. Doch das Mindeste in Sachen wissenschaftlicher Ethik wie auch juristischer Absicherung ist es eigentlich, solche Übernahmen kenntlich zu machen.
Der Fall zieht jedenfalls zunehmend weite Kreise, die weitere Entwicklung und ein mögliches Gerichtsverfahren dürften spannend und vielleicht sogar relevant für ähnliche Fälle werden.

 

Mit Kommentaren und Kritik zu den Vorgängen auf der Karolingischen Klosterstadt „Campus Galli“ habe ich mich bislang zurückgehalten – nicht zuletzt, weil Andere schon genug darüber geschrieben haben. Auffallend und ärgerlich sind jedoch die anhaltende Geheimnistuerei und der offensichtliche vollkommene Unwille des Betreibers Herrn Geurten und seines Kompagnons, des Messkircher Bürgermeisters Arne Zwick, sich mit seriöser Kritik und den Vorwürfen der Steuerverschwendung auch nur auseinanderzusetzen. Hier (mal wieder) ein Beitrag von Hiltibold:

Armbanduhr mit Taschenrechner? Mobiltelefon mit Zusatzfunktionen? Alte Hüte! Bereits im 17. Jahrhundert beschäftigte man sich mit der Idee von wearable technology:

http://fashionablygeek.com/jewelry/the-nerdiest-ring-of-the-17th-century/#!ECGYE

 

Fundstücke KW 14

Ausgerechnet am 1. April las ich eine Meldung, die sich leider als wahr herausstellte: In Paris ist im Alter von 90 Jahren der große französische Historiker Jacques Le Goff (*1.1.1924) verstorben.

Jacques Le Goff (1.1.1924-1.4.2014) via medievalists.net

Jacques Le Goff (1.1.1924-1.4.2014) via medievalists.net

Le Goff war einer der bedeutendsten Mediävisten der Gegenwart und Mitherausgeber der Zeitschrift „Annales“. An der Pariser École des Hautes Études en Sciences Sociales (EHESS) lehrte er von 1962 bis zu seiner Emeritierung 1977, seit 1972 als Nachfolger von Fernand Braudel.
Auch außerhalb der Universität war Le Goff sehr aktiv. Mit seinen zahlreichen Publikation, Auftritten, Vorträgen etc. trug er wesentlich dazu bei, die moderne Mediävistik zu definieren und einem breiten Publikum bekannt zu machen.
Für mich persönlich zählten seine Schriften zu den prägendsten und inspirierendsten Arbeiten des Fachs. Die Welt hat einen der leidenschaftlichsten Vertreter der Mittelalterforschung verloren.

Hier eine Auswahl von Nachrufen und Würdigungen:

Hiltibold hat sich in der vergangenen Woche mit „gesunder“ Ernährung im Mittelalter, Diätetik und Humoralpathologie beschäftigt:

Auf medievalists.net gab es einen interessanten Aufsatz zum mittelalterlichen Zeitverständnis:

Und wer das nötige Kleingeld übrig hat, findet in Frankreich eine wunderschöne kleine Burg aus dem 13. Jahrhundert zum Verkauf – für gerade mal € 3,2 Mio. Hm, mal abwarten, was die Steuerrückzahlung bringt …

 

Fundstücke KW 7

Am 15. Februar vor 450 Jahren wurde Galileo Galilei geboren. Die SZ fasst in einem kurzen Beitrag seine Konflikte mit der katholischen Kirche zusammen: „Als die Kirche den Menschen das Denken verbieten wollte„.

Auf derStandard.at widmet sich Eric Frey ebenfalls dem „Vater der modernen Wissenschaft“, vor allem aber der Frage, ob das von ihm propagierte „evidenzbasierte und wissenschaftliche Denken“ inzwischen (wieder) auf dem Rückzug ist. Leider geraten dem Autor dabei Begriffe wie „Wissenschaft“, „Forschung“ und „Technik“ ein wenig durcheinander und er muss sich wohl auch den Vorwurf selektiver Wahrnehmung gefallen lassen: Wer hätte gedacht, dass man Galilei sogar zur Legitimation von Gentechnik missbrauchen kann? „Galileos Feinde unter uns„.

Der erste Kopernikaner kam aus Vorarlberg“ (sagt derStandard.at), wurde aber nie so berühmt wie Galileo, musste seine Lehren nicht widerrufen und hatte meines Wissens auch nix mit Genmanipulationen am Hut …

Der hl. Valentin war ein Bischof des 3. Jahrhunderts, der Liebespaare nach christlichem Ritus getraut und dafür den Märtyrertod erlitten haben soll, was ihn zum Patron der Liebenden machte. Zum Valentinstag haben die medievalists eine schöne Sammlung mittelalterlicher Darstellung von LIebespaaren zusammengestellt:

Bei Germersheim in der Pfalz wurde von einem Sondengänger ein „Barbarenschatz“ aus dem 5. Jahrhundert entdeckt – und der Fundort durch die unfachmännische Raubgrabung unwiederbringlich zerstört, so dass hier keine Erkenntnisse mehr gewonnen werden können. Artikel in der Allgemeinen Zeitung.

Und zu guter Letzt hier die Wahrheit über Historiker:

Historians never die …

 

Fundstücke KW3

Leider (?) hatte ich diese Woche nicht viel Zeit, im Netz zu surfen. Daher fallen auch die Fundstücke etwas spärlicher aus.

A propos Fundstücke: In England tauchen seit einiger Zeit die Gebeine mittelalterlicher Könige auf. Zuerst Richard III. unter einem Parkplatz, nun möglicherweise Alfred der Große (oder sein Sohn Edward) in einer Kiste:

Auf medievalists.net findet sich ein Video von einer interessanten Debatte (eigentlich eher vier Kurzvorträge) über den Stand der Mediävistik (in England), ihre Wahrnehmung in der Öffentlichkeit, ihren möglichen Nutzen oder ihre Bedeutung für die moderne Gesellschaft, für die Frage nationaler Identität, das Mittelalter in Lehrplänen und im Alltag sowie viele weitere Aspekte. Sehenswert (auf Englisch)!

Außerdem: Lesenswerte „Gedanken zur Reenactmen-Szene“ auf tribur.de:

Und nur zum Spaß: Dennis the Constitutional Peasant aus Monty Pythons „Ritter der Kokosnuss“:

 

Crowdfunding: Die Zukunft geisteswissenschaftlicher Forschung?

Der Brite Spencer Gavin Smith möchte eine Dissertation zum Thema mittelalterliche Parks und Gärten verfassen. Zur Finanzierung der Arbeit vertraut er auf Crowdfunding, also freiwillige Spenden von Leuten wie Du und ich, die das Projekt unterstützenswert finden und im Rahmen ihrer Möglichkeiten Geld dafür locker machen. Auf www.gofundme.com hat er eine Seite eingerichtet, auf der mögliche Unterstützer Informationen zu seinem Vorhaben abrufen und ihren Beitrag zu seiner Finanzierung leisten können (außerdem betreibt er ein Blog).

2.000 Britische Pfund hofft der Historiker auf diese Weise zu gewinnen – eine moderate Summe, wenn man bedenkt, in welcher Höhe wissenschaftliche Dissertationen normalerweise durch Stipendien gefördert werden. Aber wie lange noch? Im Vergleich zu naturwissenschaftlicher Forschung führen die Geisteswissenschaften ohnehin ein Schattendasein. Die öffentlichen Mittel, die etwa jedes Jahr in die Geschichtsforschung fließen, dürften wahrscheinlich nicht einmal ausreichen, um einen einzelnen Forschungssatelliten ins All zu schießen oder einen Teilchenbeschleuniger länger als einige Stunden oder Tage in Betrieb zu halten. (Zugegeben, ich habe das jetzt nicht recherchiert oder ausgerechnet!)

Doch selbst die bescheidenen Mittel, die etwa der Erforschung unserer eigenen Vergangenheit zur Verfügung stehen, sind inzwischen beständiger Erosion ausgesetzt. Nordrhein-Westfalen hat den Anfang gemacht und beschlossen, die Förderung von Archäologie und Denkmalpflege bis 2015 auf Null zu reduzieren. Ungeachtet anderslautender Beteuerungen dürften ähnliche Erwägungen in anderen Bundesländern längst im Gange sein.

Spencer Gavin Smith ist längst nicht der Einzige. Auf Crowdfunding-Plattformen wie Kickstarter oder Indiegogo („Finanziere, was Dir wichtig ist!“) buhlen vermehrt junge Geisteswissenschaftler um private Finanzierung ihrer Forschungsvorhaben. Doch was bedeutet das – ist diese Bewegung Ausdruck und Folge einer Krise in der Finanzierung geisteswissenschaftlicher Forschung? Oder ein innovativer Ansatz, um die Öffentlichkeit  stärker in die Produktion und Ergebnisse geisteswissenschaftlicher Forschung zu integrieren? Kann so ein neues Interesse an den Humanities generiert werden oder leistet ein solches Vorgehen dem schleichenden Rückzug der öffentlichen Hand aus der Finanzierung geisteswissenschaftlicher Arbeiten unnötig Vorschub? Und besteht dann nicht die Gefahr, dass nur noch gefördert wird, was gerade en vogue ist und dem Geschmack der Massen entspricht?

Sollten Arbeiten in den Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften nicht der Allgemeinheit dienen, der Allgemeinheit zur Verfügung stehen und daher von der Allgemeinheit, sprich: der öffentlichen Hand finanziert werden? Oder ist es nur fair und richtig, der Allgemeinheit die Wahl zu lassen, welche Arbeiten sie mit welchem Betrag fördern möchte?

Zugegeben: Ich habe zu diesem Zeitpunkt auch keine Antworten. Die weitere Entwicklung bleibt abzuwarten …

Kleine historische Quellenkunde

Die Beschäftigung mit Geschichte beginnt mit der Befragung der Quellen.

Doch was sind „Quellen“ im Sinne der Geschichtswissenschaft? Um es mit den Worten meines einstigen Geschichtslehrers Herrn Theo Hill auszudrücken:

Alles, was aus alten Zeiten auf uns gekommen ist.“

Oder etwas wissenschaftlicher formuliert von Paul Kirn:

Quellen nennen wir alle Texte, Gegenstände oder Tatsachen, aus denen Kenntnis der Vergangenheit gewonnen werden kann“.

Texte: Jegliche Form der schriftlichen Überlieferung aus der Vergangenheit kann der Geschichtswissenschaft grundsätzlich als Quelle dienen, ganz gleich, ob es sich dabei um erzählende Literatur (Romane, Schwänke, Theaterstücke, Sagen, Mythen etc.), wissenschaftliche Texte, Schriftgut der Verwaltung (Akten aller Art, Verträge, Gesetzestexte, Rechnungsbücher, Gerichts- und andere Protokolle etc.), persönliche Aufzeichnungen (Tagebücher, Notizen etc.), Inschriften oder ähnliches handelt. Zu unterscheiden, aber in Relation zueinander zu setzen sind dabei der Inhalt des Textes und seine Form (Sprache, Schrift, Gestaltung, Medium etc.).

Gegenstände: Jedes Objekt, das sich aus früheren Zeiten auf die eine oder andere Weise erhalten hat, kann Auskunft über damalige Lebens- und Produktionsbedingungen geben, auf den Grad der Kunstfertigkeit seines Herstellers sowie Geschmack und Moden verweisen, sowie viele weitere Erkenntnisse liefern, wenn die entsprechenden Untersuchungen möglich sind. Der Bereich der Gegenstände umfasst dabei ein extrem breites Spektrum, von prähistorischen Lederresten oder Feuersteinabschlägen über sterbliche Überreste, weggeworfene Alltagsgegenstände und Grabbeigaben bis hin zu Bauwerken. Der historische Erkenntniswert ist dabei unabhängig vom künstlerischen oder materiellen Wert des Objekts.

Tatsachen: Der Begriff der „Tatsachen“ als historische Quellen ist etwas schwerer zu fassen als „Texte“ und „Gegenstände“. Gerade dieser Aspekt ist jedoch ungemein wichtig und wird gerne übersehen, denn er erinnert uns daran, dass praktisch alles, was uns heute umgibt, mit Geschichte behaftet und historisch aus bestimmten Bedingungen und Umständen heraus erwachsen ist. Gemeint sind also etwa gesellschaftliche oder politische Gegebenheiten wie der Föderalismus in Deutschland, der Zentralismus in England und Frankreich, die europäischen Sprach-, Religions- und Landesgrenzen, die unterschiedlichen Nationalsportarten oder Essgewohnheiten, um nur einige Beispiele zu nennen.

Werkzeug aus dem Mittelalter

Alles, was aus der Vergangenheit auf unsere Zeit überkommen ist, kann als Quelle historischer Erkenntnis dienen.

Tradition und Überreste

Nach Ernst Bernheim („Lehrbuch der historischen Methode“, 1889) unterscheidet die Geschichtswissenschaft zwei Quellengattungen: als „Tradition“ wird bezeichnet, was von historischen Begebenheiten

übrig geblieben ist, hindurchgegangen und wiedergegeben durch menschliche Auffassung
(Klaus Arnold, Art. Quellen, in: Lexikon der Geschichtswissenschaft. Hundert Grundbegriffe, Stuttgart 2002, S. 253).

Dagegen gilt als „Überrest“, was unmittelbar von den historischen Begebenheiten übrig geblieben ist. Vereinfacht ausgedrückt: „Tradition“ war von vornherein für die Überlieferung an die Nachwelt bestimmt, „Überreste“ hingegen sind mehr oder weniger zufällig und willkürlich erhalten geblieben.
Bücher, Urkunden, Chroniken, Akten und ähnliche Textquellen sind im Allgemeinen zur Tradition zu rechnen, desgleichen Monumente, Inschriften und ähnliches. Eine zufällig als Lesezeichen erhaltene Notiz, ein Einkaufszettel oder dergleichen hingegen gilt als Überrest. Sachgüter wie Essgeschirr, Werkzeuge oder Waffen, die aus einer mittelalterlichen Abfallgrube oder einem Moor geborgen werden, zählen ebenfalls zu letzterer Gattung. Nicht immer ist diese Unterscheidung jedoch mit aller Klarheit zu treffen, der Nutzen einer solchen Kategorisierung wird daher von manchen Historikern angezweifelt. Mitunter entscheidet die Klassifizierung als „Tradition“ oder „Überrest“ jedoch über den Erkenntniswert einer Quelle und über die Fragen, die an sie gestellt werden sollten.

Mittelalterliche Urkunde

Eine mittelalterliche Urkunde in lateinischer Sprache: wann wurde sie geschrieben? Von wem? Wo? Für wen? Mit welcher Absicht? Worum geht es? Wessen Siegel ist angehängt? Was verraten Schreibstil, Material, Ausgestaltung?

Quellenkritik

Quellen können nur dann etwas über die Vergangenheit erzählen, wenn die richtigen Fragen an sie gerichtet werden. Daher gilt es zunächst, sich mit der Entstehung und Überlieferung einer Quelle auseinanderzusetzen. Naturgemäß von höchstem Interesse ist die Frage, wann die Quelle entstanden ist. Zur Datierung von Textquellen können neben direkten oder indirekten (z.B. Erwähnung von bestimmten Ereignissen) Datumsangaben etwa der Schriftstil oder bestimmte Gestaltungsmerkmale dienen. Für Gegenstände kommen neben Stilanalysen vor allem technische Methoden (Dendrochronologie, C14-Methode etc.) in Frage.
Desweiteren gilt es zu bestimmen, wo die Quelle entstanden ist und von wem sie stammt. Insbesondere bei Textquellen ist außerdem die Aussageabsicht von größter Wichtigkeit, sowie die Frage nach dem intendierten Publikum. Bei Sachgegenständen drängen sich Fragen nach Fertigungsweise, verwendeten Werkzeugen, Verwendungszweck, Benutzerkreis etc. auf.

Die wissenschaftliche Beschäftigung mit Quellen ist jedoch mit zahlreichen Problemen behaftet. An erster Stelle gilt zu beachten, dass die Überlieferung stets nur einen Ausschnitt darstellt und das Bild der tatsächlichen Begebenheiten nicht unwesentlich verzerren kann. So sind etwa Museen und Archive voll von kostbaren mittelalterlichen Prachthandschriften, die bereits zur Zeit ihrer Entstehung überaus wertvolle Einzelstücke darstellten. Ihr künstlerischer und materieller Wert hat ihre Überlieferung begünstigt, wohingegen etwa die hunderte und tausende Pilgerführer, die im Verlauf des Mittelalters im Umlauf gewesen sein müssen, nicht überdauert haben, weil sie irgendwann veraltet, überholt, unbrauchbar und nutzlos geworden waren und von ihren Besitzern entsorgt worden sind. Derartige Massenartikel sind jedoch ohne Zweifel repräsentativer für die mittelalterliche Buchproduktion und könnten als historische Quelle mehr über das Leben in jener erzählen als etwa der Echternacher Codex.
Viele Texte sind zudem gar nicht von ihren Verfassern auf uns gekommen, sondern durch Bearbeitungen, Abschriften, Übersetzungen, spätere Aufzeichnung ursprünglich mündlicher Überlieferung etc. Es mögen Fehler, bewusste Änderungen, persönliche Ansichten u.ä. in die vorliegende Fassung eingeflossen sein.
Zu beachten gilt außerdem, dass Quellen lügen können – auch das gilt natürlich insbesondere für textliche Überlieferungen. Von gar nicht so seltenen Urkundenfälschungen abgesehen, stellt sich immer die Frage: was war die Absicht des Autors? In Schlachtbeschreibungen geht es oft darum, die Leistungen der eigenen Truppen oder einzelner Beteiligter hervorzuheben. Mittelalterliche Herrscherporträts (in Schrift oder Bild) geben selten ein wirklichkeitsnahes Bild wieder, sondern dienen vornehmlich politischen Zwecken. Gesetzestexte setzen Normen, die jedoch noch keine Aussage darüber zulassen, ob sie eingehalten wurden oder wie sich die Zustände tatsächlich gestaltet haben.

Der "Codex aureus Epternacensis" oder "goldene Codex von Echternach" - eines der prachtvollsten erhaltenen Bücher aus dem Mittelalter, ein Beispiel allerhöchster Kunstfertigkeit. Aber steht sein Wert als Quelle in Zusammenhang mit seinem künstlerischen oder materiellen Wert?

Der „Codex aureus Epternacensis“ oder „goldene Codex von Echternach“ – eines der prachtvollsten erhaltenen Bücher aus dem Mittelalter, ein Beispiel allerhöchster Kunstfertigkeit. Aber steht sein Wert als Quelle in Relation zu seinem künstlerischen oder materiellen Wert?

Jede Quelle ist auf ihre Weise einzigartig und erfordert die ihr angemessenen Fragestellungen, Untersuchungen, kritischen Betrachtungen, Vergleiche etc. Einen Blick für diese Probleme zu gewinnen, die entsprechenden Methoden, Verfahren, Konventionen im Umgang mit Quellen aus verschiedenen Zeiten und Räumen zu erlernen und anzuwenden ist wesentlicher Bestandteil eines geschichtswissenschaftlichen Studiums.

Historische Hilfswissenschaften

Die Fülle unterschiedlicher Quellen hat zahlreiche spezialisierte Disziplinen zu ihrer Erforschung hervorgebracht, auf die ich in zukünftigen Beiträgen näher einzugehen hoffe. Die Epigraphik befasst sich mit Inschriften, die Paläographie mit Handschriften, die Kodikologie mit alten Büchern („Codices“). Zusammen mit etlichen anderen Teildisziplinen werden sie zu den „historischen Hilfswissenschaften“ gezählt, worunter mancher Historiker auch die Archäologie rechnet, sehr zum Ärger der Archäologen. Mit Gegenständen als historischen Quellen befasst sich außerdem die Realienkunde.
Zu den jüngsten Entwicklungen zählt die Entstehung der „experimentellen Archäologie“, die versucht, durch Rekonstruktion und praktische Erprobung Erkenntnisse über die Herstellung und Anwendung historischer Werkzeuge und Verfahren zu gewinnen.