„Bauer ist nicht gleich Bauer“ stellte Benjamin Lammertz kürzlich in einem Beitrag auf „In Foro 1300“ fest. Er widmete sich darin der sozialen Unterschiede innerhalb der mittelalterlichen Landbevölkerung, die durch eine undifferenzierte (moderne) Kollektivbezeichnung als „Bauern“ verwischt werden.
Leicht überspitzt könnte man gar behaupten, „Bauern“ habe es im Mittelalter überhaupt nicht gegeben! In den Quellen zumindest tauchen sie kaum einmal auf, und falls doch, so meistens nicht in ihrer Eigenschaft als landbearbeitende Nahrungsmittelproduzenten, sondern als Adressaten von Spott und Kritik, aufgrund ihrer (vermeintlichen) groben, derben, unkultivierten, eben „bäurischen“ Sitten – im Lateinischen unterschieden durch die Begriffe agricola (= Landwirt) und rusticus (daher unser Adjektiv „rustikal“, der sprichwörtliche tumbe Bauer).
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Mittelalter & TV, Folge xxx: Vom (Nicht-)Wollen und (Nicht-)Können und einfach-nicht-drum-scheren …
An wen wendet man sich, wenn man sich für die Kochkunst des Mittelalters interessiert: An erfahrene Köche, die seit Jahrzehnten eine mittelalterliche Küche betreiben? An Darstellergruppen, die regelmäßig historische Rezepte auf möglichst authentische Weise nachkochen? An Autoren, Herausgeber oder Übersetzer von mittellterlichen Kochbüchern? An ausgewiesene Historiker, die zum Thema geforscht und publiziert haben?
Nein! Zumindest, wenn man RedakteurIn eines öffentlich-rechtlichen TV-Senders in Deutschland ist, dann weiß man instinktiv, wo man am ehesten kompetente Informationen zu Kochkunst und praktisch allen anderen Aspekten des Mittelalters erfahren kann: Natürlich auf einem … MITTELALTERMARKT!
Der „Brückenheilige“ Johannes von Nepomuk, ein böhmischer Märtyrer
Man begegnet ihm allenthalben, vor allem auf Brücken, aber auch auf Altären, an Hauswänden, an Wegen und gelegentlich sogar auf Gegenständen des Alltags. Meist trägt er die Kleidung des Kanonikers – Soutane und Birett -, den Palmzweig des Märtyrers und ein Kreuz in der Armbeuge. Sein Nimbus wird gelegentlich von fünf Sternen geziert. Doch wer ist dieser Schutzpatron der Brücken und Wege, der Bewahrer vor Hochwasser und dem Tod durch Ertrinken, zugleich Hüter des Beichtsiegels und einer der Landespatrone Böhmens? Weiterlesen
Jahrestage mittelalterlicher Geschichte 2016
Welche bedeutenden Geschehnisse ereigneten sich vor 500, 750 oder 1000 Jahren? Welche Jahrestage der mittelalterlichen Geschichte kommen 2016 auf uns zu? Auf welche Feiern, Gedenktage, Debatten müssen wir uns einstellen?
Ein kurzer, keineswegs vollständiger und schamlos eurozentrischer Überblick:
Vor mehr als 1.000 Jahren:
- 516: Sigismund wird König der Burgunder, die daraufhin den katholischen (statt des arianischen) Glauben annehmen
- 616: Raedwald von East Anglia besiegt in der Schlacht am Idle Æthelfrith von Northumbria
- 716: Karl Martell besiegt bei Amblève Raganfrid, Hausmeier von Neustrien, und den Merowingerkönig Chilperich II.
- 816: In Reims wird Ludwig der Fromme von Papst Stephan IV. erneut zum Kaiser gekrönt
- 916: Am 20. September wird die Synode von Hohenaltheim einberufen, die das Bündnis der ostfränkischen Bischöfe mit dem Königtum stärken sollte
1016 – Vor 1.000 Jahren:
- Byzantiner und Rus vernichten das jüdische Chasarenreich
- Belagerung von London durch Knut den Großen und Tod des englischen Königs Æthelred (23. April); Beginn der dänischen Herrschaft über England (bis 1042)
- 6. Juli: Schlacht bei Pontlevoy
1066 – Vor 950 Jahren:
- 5. Januar: Der englische König Eduard der Bekenner stirbt ohne klare Nachfolgeregelung. Die englischen Witan wählen daraufhin Harald Godwinson zu seinem Thronfolger
- 25. September: In der Schlacht von Stamford Bridge (Yorkshire) schlägt König Harald II. von England den Eroberungsversuch Harald Hardrades von Norwegen zurück, der von Haralds Bruder Tostig Godwinsonunterstützt wird. Die englische Armee eilt in einem zweiwöchigen Gewaltmarsch nach Süden
- 14. Oktober: In der Nähe des heutigen Ortes Battle kommt es zur Schlacht von Hastings. Wilhelm der Eroberer besiegt den englischen König Harald II. und erobert England
- 25. Dezember: Wilhelm der Eroberer wird in der Westminster Abbey zum König von England gekrönt
1116 – Vor 900 Jahren:
- Zweiter Italienzug Heinrichs V.
- 25. April: Tod Bernhards von Tiron, Einsiedler und Klostergründer (* um 1046)
- 29. August: Geburt des späteren französischen Königs Philippe († 1131)
1216 – Vor 800 Jahren:
- 26. Mai: Kronprinz Ludwig von Frankreich landet in England und nimmt in der St Paul’s Cathedral die Huldigung der Barone wie auch des schottischen Königs Alexander II. entgegen. Im Verlauf des Jahres gelingt es ihm, den Osten England zu erobern
- 19. Oktober: Nach dem Tod seines Vaters Johann Ohneland (* 1167) wird Heinrich III. im Alter von neun Jahren König von England, die Krönung erfolgt am 28. Oktober
- 22. Dezember: Mit der Bulle Religiosam vitam bestätigt Papst Honorius III. die Ordensregel der Dominikaner
- Ersterwähnung der Stadt Dresden (slaw: „Sumpfwald“)
- Fertigstellung der Benediktiner-Abtei Laach
1266 – Vor 750 Jahren:
- 6. Januar: In Rom wird Karl I. von Anjou von fünf Kardinälen mit Zustimmung, aber in Abwesenheit des Papstes Clemens IV. zum König von Sizilien und Fürsten von Tarent gekrönt
- 26. Februar: In der Schlacht bei Benevent besiegt der frisch gekrönte König ein deutsch-sizilianisches Heer unter Manfred von Sizilien. Mit Manfreds Tod in der Schlacht endet die Herrschaft der Stauferin Süditalien
- 15. Mai: In der Schlacht von Chesterfield besiegt Henry of Almain, ein Neffe des englischen Königs Heinrich III., eine Gruppe von Anhängern des Simon de Montfort, und beendet damit endgültig den Zweiten Krieg der Barone
- Juni bis Dezember: Belagerung von Kenilworth Castle
- 2. Juli: Nach jahrelangen Kämpfen verkauft König Magnus VI. von Norwegen im Frieden von Perth die Insel Man und die Hebriden an Schottland und erhält dafür 4.000 Mark Sterling sowie eine jährliche Abgabe von 100 Mark. Im Gegenzug erkennt Schottland die norwegische Herrschaft über Orkney und die Shetlandinseln an
- Thomas von Aquin beginnt die Arbeit an seinem Hauptwerk, der Summa theologica, die den Höhepunkt der Scholastik darstellt
1316 – Vor 700 Jahren:
- 10. Februar: Großfürst Michail von Twer erzwingt die Unterwerfung Nowgorods, das sich während seiner Abwesenheit mit Juri I. Daniilowitsch von Moskau verbündet hatte
- 14. Mai: Geburt Karls IV., römisch-deutscher König († 1378)
- 5. Juni: Der überraschende Tod Ludwigs X. löst in Frankreich Erbfolgestreitigkeiten aus
- 7. August: Nach einer Sedisvakanz von über zwei Jahren einigen sich die sechzehn französischen und acht italienischen Kardinäle auf den siebzigjährigen Jacques Duèze als Kompromisskandidaten, der als Johannes XXII. als erster Papst ständig in Avignon residiert
- August: Das Reiterheer Waldemars des Großen von Brandenburg unterliegt in der Schlacht bei Gransee während des Norddeutschen Markgrafenkrieges den verbündeten Truppen des Fürstentums Mecklenburg, der Herrschaft Werle und des Königreichs Dänemark
- Ramon Llull (* 1232), katalanischer Philosoph, stirbt
- In ganz Europa kommt es zu starken Überschwemmungen, die Hungersnöte und Epidemien zur Folge haben
1346 – Vor 670 Jahren:
- 11. Juli: König Edward III. von England überquert mit einer Flotte von Südengland aus den Ärmelkanal und landet am nächsten Tag in Saint-Vaast-la-Hougue, etwa 25 km von Cherbourg entfernt. Von hier aus beginnt er im Hundertjährigen Krieg seinen Feldzug durch die Normandie. Seine Truppen plündern und brandschatzen auf ihrem Weg die Städte Carentan, Saint-Lô und Torteval, wodurch die französische Moral und Kampfkraft zerstört werden soll
- 26. Juli: In der Schlacht von Caen erleiden die französischen Verteidiger eine vernichtende Niederlage. Anschließend erobern und plündern die englischen Truppen die Stadt
- 24. August: Die Schlacht von Blanchetaque ist ein weiterer Sieg für Edwards Truppen, der ihm erlaubt, die Somme zu überqueren
- 26. August: Die Franzosen unter Philipp VI. werden von den zahlenmäßig stark unterlegenen Engländern unter Edward III. in der Schlacht bei Crécy schwer geschlagen. Die englischen Bogenschützen sind mit ihren Langbögen den französischen Rittern überlegen. In dieser Schlacht stirbt Johann von Böhmen
- 4. September: Nach ihrem Sieg belagern die englischen Truppen für elf Monate die Stadt Calais
- 17. Oktober: Englands König Edward III. nimmt in der Schlacht von Neville’s Cross den schottischen König David II. gefangen und lässt ihn im Tower of London einkerkern
1416 – Vor 600 Jahren:
- 19. Februar: Savoyen wird zum Herzogtum
- 3. März: Geburt Sigismunds von Sachsen, Bischof von Würzburg († 1471)
- 15. März: Jean de Valois, duc de Berry (*1340) sowie die Künstlerbrüder Paul, Johan und Herman von Limburg sterben an einer Seuche, das Stundenbuch Très Riches Heures bleibt dadurch unvollendet (bis 1489)
- 27. März: Geburt des Franz von Paola, Gründer des Paulanerordens und Heiliger († 1507)
- 30. Mai: Hieronymus von Prag, Weggefährte von Jan Hus, wird auf dem Konzil von Konstanz als Ketzer verbrannt, nachdem er den Widerruf seiner Aussagen zurückgenommen hat
- Frühjahr: König Sigismund versucht erfolglos, im Hundertjährigen Krieg zwischen England und Frankreich zu vermitteln. In der Folge verschlechtert sich das Verhältnis zwischen dem Heiligen Römischen Reich und Frankreich
- Als sich die Rückkehr des 1408 gestürzten Alten Rates nach Lübeck abzeichnet, organisiert der Goldschmied Heyno Sobbe als Mitglied des Neuen Rats erfolglos einen Handwerkeraufstand, um das zu verhindern. Er wird verhaftet und am 11. Juni hingerichtet
- 15. August: Der Vertrag von Canterbury wird als Bündnisvertrag im Rahmen des Hundertjährigen Krieges zwischen König Henry V. von England und König Sigismund geschlossen. Der Vertrag wird bis September ratifiziert, erhält aber in den folgenden Kriegsjahren kaum mehr als symbolische Bedeutung
- Oktober: In Olmütz kommt es zu einem Aufstand, nachdem der von König Wenzel und dem Prager Erzbischof ernannte Administrator Albrecht von Březí an einer hussitischen Messe teilgenommen hat. Das Konzil von Konstanz benennt am 14. Dezember einen Nachfolger, der jedoch von König und Erzbischof nicht anerkannt wird
1516 – Vor 500 Jahren:
- 23. Januar: Nach dem Tod Ferdinands II. wird sein Sohn Karl I. König von Spanien. Damit beginnt der Jahrhunderte währende Gegensatz zu Frankreich, das sich von den Habsburgern „umzingelt“ sieht
- 18. Februar: Geburt Marias I. von England (Maria Tudor, Bloody Mary), Königin von England († 1558)
- März: Die Orte Uri, Schwyz, Zürich, Basel und Schaffhausen, die den im Vorjahr nach der Schlacht bei Marignano geschlossenen Frieden von Genf ablehnen, stellen dem römisch-deutschen Kaiser Maximilian I. 15.000 Mann für seinen Feldzug nach Oberitalien zur Verfügung. Ein neuerlicher Bruderkrieg mit den anderen eidgenössischen Orten, die Frankreich unterstützen, wird nur vermieden, weil Maximilian I. den vereinbarten Sold nicht aufbringen kann
- 23. April: In Ingolstadt erlassen die bayerischen Herzöge Wilhelm IV. und Ludwig X. eine neue bayerische Landesordnung. Darin werden u.a. die Zutaten und Höchstpreise für Bier geregelt, weswegen sie im 20. Jahrhundert als bayerisches bzw. deutsches „Reinheitsgebot“ nachhaltige Wirkung entfaltet
- 23. April: Geburt des Georg Fabricius, protestantischer deutscher Dichter, Historiker und Archäologe († 1571)
- 8. Juni: Tod des Elefanten Hanno, der Lieblingstiers von Papst Leo X., das dieser von König Manuel I. von Portugal zwei Jahre zuvor geschenkt bekommen hatte. Wenig später kursiert ein satirisches Testament des Elefanten, in dem die Zustände in der römischen Kurie angeprangert werden
- Im August stirbt der niederländische Maler Hieronymus Bosch (* um 1450)
- 13. August: Gegen den Willen Kaiser Maximilians I. schließen Karl I. von Spanien als Herzog von Burgund und Franz I. von Frankreich den Vertrag von Noyon. Maximilian muss daraufhin seine letzten Positionen in Italien aufgeben
- 12. November: König Karl I. von Spanien schließt mit Franz von Taxis und seinem Neffen Johann Baptista einen erneuerten Postvertrag. In diesem Vertrag bezeichnet König Karl die beiden als seine Hauptpostmeister (capitaines et maistres des postes) und einzige Post- und Kuriermeister. Franz und Johann Baptista verpflichten sich, Postreiter von Brüssel unter anderem zum französischen Königshof sowie zum Hof Kaiser Maximilians zu stationieren. Auf jeder Wechselstation mit Ausnahme von abgelegenen Routen sollten zwei Pferde gehalten werden. Es dürfen im Rahmen bestimmter Zeitvorgaben ausnahmslos nur königliche Briefe befördert werden. Der Vertrag tritt am 15. November in Kraft
- 29. November: Der französische König Franz I. schließt mit den Eidgenossen die „ewige Richtung“, in der alle früheren Feindschaften aufgehoben werden und für künftige Konflikte ein Schiedsgericht eingesetzt werden soll. Kein Vertragspartner soll die Feinde des anderen unterstützen, und die Eidgenossen dürfen ihre Eroberungen in Italien mit Ausnahme des Eschentals behalten. Das Tessin fällt damit endgültig an die Schweiz. Als Kriegsentschädigung zahlt Franz I. 700.000 Kronen an die dreizehn Orte der Eidgenossenschaft
- 19. Dezember: Der französische König Franz I. und Papst Leo X. schließen das Konkordat von Bologna. Franz erkennt darin die Superiorität des Papstes (über die Konzilien) und die Annaten (Abgaben für Übertragung eines geistlichen Amtes) an. Dafür erhält er das Recht, die wichtigen Positionen in der französischen Kirche ohne Einmischung des Papstes zu besetzen
- Dezember: Thomas Morus‚ staatstheoretisches Werk „Utopia“ wird auf Betreiben Erasmus‘ von Rotterdam in Löwen in lateinischer Sprache erstmals veröffentlicht
- Götz von Berlichingen ruft angeblich dem Kurmainzischen Amtmann in Krautheim an der Jagst den „Schwäbischen Gruß“ zu
- In Augsburg wird im Auftrag des Kaufmanns und Bankiers Jakob Fugger unter Baumeister Thomas Krebs mit dem Bau der Fuggerei begonnen, der ältesten noch heute bestehenden Sozialsiedlung der Welt. Die Arbeiten dauern bis 1521
- Die erste Fassung des aus 40 Gesängen bestehenden Versepos Orlando furioso von Ludovico Ariosto erscheint
- Lucas Cranach der Ältere malt den Bilderzyklus „Die 10 Gebote„
- Der Spanier Juan Díaz de Solís erreicht vermutlich als erster Europäer mit seiner aus drei Karavellen bestehenden Expedition die Mündung des Río de la Plata und damit das Gebiet der heutigen Staaten Uruguay und Argentinien
St. Georg und das deutsche Bier
Der 23. April ist der Tag des heiligen Georg, eines spätantiken Märtyrers, der vor allem als Drachentöter Bekanntheit erlangt und Darstellung gefunden hat.
Traditionell markierte der Georgstag das Ende der Brausaison, die am 29. September, dem Tag des Erzengels Michael begonnen hatte. Aufgrund mangelnder Kühlmöglichkeiten war es im Mittelalter praktisch unmöglich, während der heißen Sommermonate ein qualitativ hochwertiges Bier herzustellen. Vielerorts wurde daher im Frühjahr noch einmal ein besonders starkes und damit lange haltbares „Lagerbier“ gebraut, regional z.B. als Märzen bekannt.
Das meiste Bier wurde im Mittelalter frisch gebraut getrunken, d.h. wenige Tage bis Wochen nach Abschluss der Gärung. Wiederum verhinderten fehlende Kühlmöglichkeiten, aber auch Schwierigkeiten des Transports und der Unterbringung eine allzu lange Lagerung.
Gleichwohl wurde auch während der braufreien Sommermonate Bier ausgeschenkt und konsumiert. Dabei galten, wie bei den meisten Lebensmittel, obrigkeitlich festgesetzte Höchstpreise. So heißt es etwa in einem Mandat Herzog Wilhelms IV. von Bayern:
„Item wir ordnen / setzen / und wöllen mit Rathe unnser Lanndtschaft / das füran allennthalben in dem Fürstenthumb Bayrn / auff dem Lande / auch in unnsern Stettn unn Märckthen / da deßhalb hieuor kain sonndere ordnung ist / von Michaelis biß auff Georij / ain mass oder kopffpiers über ainen pfenning Müncher werung / unn von sant Jorgentag / biß auff Michaelis / die mass über zwen pfenning derselben werung / und derenden der kopff ist / über drey haller / bey nachgesetzter Pene / nicht gegeben noch außgeschenckht sol werden. „
Eine Maß Winterbier sollte also für einen Münchner Pfennig, die Maß Sommerbier für nicht mehr als zwei Pfennig zu haben sein.
Derartige Höchstpreistaxen waren seit dem 13. Jahrhundert weit verbreitet und regelten den Verkaufspreis von Fisch, Fleisch, Brot, Wein, Wachs und zahlreichen anderen Produkten. Um jedoch zu verhindern, dass Hersteller ihren Gewinn zu Lasten der Qualität zu maximieren versuchten, wurden oft auch gleich die zulässigen Zutaten geregelt.
Und so heißt es auch in der bayerischen Bierpreisordnung weiter:
„Wir wöllen auch sonderlichen / das füran allenthalben in unsern Stetten / Märckthen / unn auf dem Lannde / zu kainem Pier / merer stückh / dann allain Gersten / Hopfen / unn wasser / genommen unn gepraucht sölle werdn.“
Das war allerdings keine revolutionäre Neuerung. Das zitierte Gesetz war keineswegs das erste, weder in Bayern noch in anderen deutschen Herrschaften, welches die Zutaten des Bieres auf Gerste, Hopfen und Wasser beschränkte. Schon seit dem 14. Jahrhundert wurden Versuche unternommen, die Beimischung billigeren Getreides, verschiedener Ersatzstoffe, vor allem aber aller erdenklichen Kräutermischungen (der sogenannten Grut) zu unterbinden, von denen manche – wie etwa das beliebte Bilsenkraut – gesundheitsschädliche Wirkungen haben konnten.
Doch dank der Zufälle und Willkür der Quellenüberlieferung war es jenes Mandat WIlhelms IV., das im 19. Jahrhundert von romantisch und regionalpatriotisch gesinnten Historikern wiederentdeckt wurde und seither als „bayerisches“, später „deutsches Reinheitsgebot“ eine ebenso erstaunliche wie fragwürdige Karriere erlebt hat. Was als Höchtspreistaxe erlassen worden war, diente deutschen Bierbrauern 500 Jahre später als Marketinginstrument, als Schutzmaßnahme gegen ausländische Konkurrenz, als traditions- und damit identitätsstiftendes Werkzeug der Image-Pflege.
Erlassen wurde diese bayerische Bierpreistaxe am 23. April 1516. Konsequenterweise wurde der Tag des hl. Georg daher vom Deutschen Brauer-Bund 1994 zum „Tag des deutschen Bieres“ erhoben. Als solcher dürfte er zumindest hierzulanden den Gedenktag des Drachentöters an Beliebtheit deutlich übertreffen …
Zur Feier dieses Bier-Festtags hier ein Rezept für ein mittelalterliches Festtags-Bier, garantiert NICHT nach dem „Reinheitsgebot“ gebraut:
Grut-Bier nach einem Rezept des 14. Jahrhunderts
- 4,5 l Wasser
- 1,5 Pfund Malz („English Pale“)
- 1,5 Pfund Karamellmalz
- Flüssige Bierhefe („Pale Ale“)
- 1,5 g Gagel
- 1,5 g Sumpfporst
- 1,5 g Schafgarbe
Wasser auf 75°C erhitzen. Soviel davon auf das geschrotete Malz gießen, bis eine steife Maische entsteht. Abgedeckt drei Stunden lang stehen lassen.
Langsam mit 75°C heißem Wasser besprenkeln, bis 4,5 l Gesamtmenge erreicht sind. Kräuter zufügen und Würze 1,5 h lang kochen lassen.
Auf ca. 20°C abkühlen lassen, dann in Gärbehälter abseihen. Hefe zufügen und mit Gärstopfen verschließen. Bei Zimmertemperatur gären lassen, bis der Gärvorgang vollständig abgeschlossen ist.
In Flaschen abfüllen, verschließen und vor Genuss vier Monate reifen lassen.
Prost!
Hinweis: Die Verwendung dieses Rezepts erfolgt auf eigene Gefahr und Verantwortung! Grundregeln der Küchenhygiene und gesetzliche Regelungen zur Hausbrauerei beachten. Der Autor übernimmt keine Verantwortung. Maßvoll konsumieren!
Jahrestage mittelalterlicher Geschichte 2015
Welche bedeutenden Geschehnisse ereigneten sich vor 500, 750 oder 1000 Jahren? Welche Jahrestage der mittelalterlichen Geschichte kommen dieses Jahr auf uns zu? Auf welche Feiern, Gedenktage, Debatten müssen wir uns einstellen?
Ein kurzer, keineswegs vollständiger und schamlos eurozentrischer Überblick:
Vor mehr als 1.000 Jahren:
- 515: Gründung der Abtei Saint-Maurice im schweizer Kanton Wallis – des ältesten bis heute bestehenden Klosters im Abendland.
- 615: Pippin der Ältere wird Hausmeier des Frankenkönigs Chlothar II.
- 715: In Neustrien wird nach dem Tod des karolingischen Hausmeiers Pippin (der Mittlere) zunächst der 6jährige Theudoald, der Sohn Grimoalds des Jüngeren und Enkel der Plektrudis und Pippins, zum Hausmeier bestimmt, doch setzt sich Raganfrid in der Schlacht von Compiègne (26. September) gegen ihn durch. Zugleich lässt Plektrudis Karl Martell, den illegitimen Sohn von Pippin und Chalpaida, in Köln gefangensetzen.
- 815: Gründung des Bistums Hildesheim, erster Bischof wird Gunthar.
- 915: Krönung Berengars von Friaul zum römischen Kaiser (Dezember).
1015 – Vor 1.000 Jahren:
- Im Sommer fällt Knut der Große in England ein, um den von seinem verstorbenen Vater Sven Gabelbart geerbten Herrschaftsanspruch gegen König Æthelred durchzusetzen.
- Weihe der Michaeliskirche in Hildesheim durch Bischof Bernward (29. September).
- Olav II. Haraldsson wird König von Norwegen (Herbst).
- Erste urkundliche Erwähnung von Leipzig (20. Dezember).
- Baubeginn des Straßburger Münsters (fertiggestellt 1028, 1190 durch einen Neubau ersetzt).
- Geboren: Andreas I., König von Ungarn († 1060); Harald III. Hardråde, König von Norwegen († 1066)
1115 – Vor 900 Jahren:
- Schlacht am Welfesholz (11. Februar)
- Gründung des Klosters Clairvaux durch den Zisterziensermönch Bernhard
- Geboren (?): John of Salisbury, englischer Theologe und Bischof von Chartres († 1180); Raimund II., Graf von Tripolis († 1152)
1215 – Vor 800 Jahren:
- Der englische König Johann Ohneland wird von seinen Baronen gezwungen, die Magna Charta libertatum zu unterzeichnen (15. Juni)
- Der Staufer Friedrich II. wird zum zweiten Mal (nach 1212) zum deutschen König gewählt; Absetzung Ottos IV. (23. Juli)
- Überführung der Gebeine Karls des Großen in den Aachener Karlsschrein durch Friedrich II. (27. Juli)
- Beginn des vierten Laterankonzils (11. November)
- Thomasîn von Zerclaere verfasst sein monumentales Lehrgedicht „Der wälsche Gast„
- Geboren: Kublai Khan, mongolischer Herrscher (23. September, † 1294)
1265 – Vor 750 Jahren:
- Das von Simon de Montfort einberufene erste englische Parlament tritt erstmals in London zusammen (20. Januar)
- Prinz Eduard gelingt die Flucht aus der Gefangenschaft Simons de Montfort (28. Mai)
- In der Schlacht von Evesham besiegen die königlichen Truppen unter Kronprinz Eduard ein Heer aufständischer Barone unter Simon de Montfort, der dabei ums Leben kommt (4. August)
- Papst Clemens IV. belehnt Karl von Anjou mit dem Königreich Sizilien (28. August)
- In Spanien werden die Städte Alicante und Murcia endgültig von den Mauren zurückerobert
- Im böhmischen Budweis wird erstmals ein Bier gebraut, das noch heute hergestellt wird
- Geboren: Dante Alighieri, italienischer Dichter und Philosoph (Mai oder Juni, † 1321)
1315 – Vor 700 Jahren:
- König Robert the Bruce eröffnet das erste schottische Parlament (26. April)
- In der Schlacht am Morgarten werden die Habsburger von den Truppen der schweizer Eidgenossenschaft besiegt (15. November)
- Schweres Erdbeben in L’Aquila (3. Dezember)
- In ganz Europa kommt es aufrgund anhaltender Regenfälle zu einer schweren Hungersnot, die bis 1317 andauert
1415 – Vor 600 Jahren:
- Johannes XXIII., der einzige der drei Päpste des Abendländischen Schismas, der am Konstanzer Konzil (1414-1418) teilgenommen hat, flieht aus der Stadt (20. März). Am 29. April wird er in Freiburg gefasst und an König Sigismund ausgeliefert. Am 29. Mai wird er für abgesetzt erklärt, zwei Tage später stimmt er der Entscheidung zu.
- Mit dem Dekret Haec sancta reklamiert das Konzil von Konstanz höhere Autorität als der Papst (6. April)
- Mit der Ernennung Friedrichs, des Burggrafen von Nürnberg, zum Kurfürsten von Brandenburg beginnt die bis 1918 andauernde Herrschaft des Hauses Hohenzollern (30. April)
- Das Konzil von Konstanz erklärt den 1384 verstorbenen englischen Kirchenreformator John Wyclif zum Ketzer und befiehlt, seine Gebeine zu verbrennen, was im Jahr 1428 erfolgt (4. Mai).
- Auf Drängen des Konzils tritt Papst Gregor XII. zurück und wird dafür zum päpstlichen Legaten auf Lebenszeit ernannt, Der drite Papst, Benedikt XIII., wird für abgesetzt erklärt (4. Juli).
- Der böhmische Reformator Jan Hus wird nach fast einjähriger Gefangenschaft als Ketzer verbrannt (6. Juli).
- Geburt von Friedrich III., ab 14140 römisch-deutscher König, ab 1452 Kaiser († 1493).
- König Henry V. von England besiegt dank seiner Langbogenschützen ein fast doppelt so großes französisches Heer in der Schlacht von Agincourt (25. Oktober)
- Bei der Eroberung des Aargaus fällt den schweizer Eidgenossen auch die Stammburg der Habsburger in die Hände.
1515 – Vor 500 Jahren:
- Tod Ludwigs XII., König von Frankreich (1. Januar, * 1462)
- Krönung des französischen Königs Franz I. (25. Januar)
- Vertrag von Paris: Vereinbarung über die künftige Verlobung des 15jährigen spanischen Infanten Carlos, zugleich Graf von Flandern, mit Prinzessin Renée de France, der vierjährigen Tochter von König Ludwig XII. und von Anne de Bretagne (24. März).
- Windischer Bauernaufstand in Österreich (März bis August).
- Ein Nashorn, das König Manuel I. von Portugal als Geschenk erhalten hat, trifft in Lissabon ein und wird zur Attraktion. Albrecht Dürer und andere bedeutende Künstler fertigen Abbildungen davon an (20. Mai)
- Mary Tudor, Schwester Heinrichs VIII., heiratet heimlich Charles Brandon, 1. Duke of Suffolk (13. Mai).
- Für 100.000 Rheinische Gulden verkauft Georg von Sachsen seine Herrschaft Friesland an die Habsburger (19. Mai).
- Wiener Fürstentag: Im Wiener Stephansdom findet die von Maximilian I. und Vladislav II. von Böhmen und Ungarn arrangierte Wiener Doppelhochzeit von Maximilians Enkeltochter Maria mit Vladislavs Sohn Ludwig und Enkelsohn Ferdinand mit Vladislavs Tochter Anna statt (22. Juli).
- Die Franzosen unter Franz I. besiegen die Eidgenossen in der Schlacht bei Marignano in Norditalien. Daraufhin beenden die Eidgenossen ihre Eroberungspolitik um das Herzogtum Mailand und erklären sich „auf ewig“ für neutral (13.-14. September).
- Anonyme Veröffentlichung der sogenannten Dunkelmännerbriefe, mit der Humanisten die Scholastik kritisierten (Oktober).
- Soziale Unruhen in Zürich, der sogenannte Lebkuchenkrieg (Dezember).
- Mülhausen tritt aus dem elsässischen Zehnstädtebund aus und wird zugewandter Ort der Alten Eidgenossenschaft.
- Geboren: Sebastian Boetius, deutscher evangelischer Theologe (19. Januar, † 1573); Friedrich III., Kurfürst von der Pfalz (14. Februar, † 1576); Teresa von Ávila, spanische Nonne, Kirchenlehrerin und Heilige (28. März, † 1582); Anna von Kleve, später vierte Ehefrau des englischen Königs Heinrich VIII. (22. September, † 1557); Lucas Cranach der Jüngere, deutscher Maler und Graphiker (4. Oktober, † 1586); Roger Ascham, englischer Pädagoge und Schriftsteller (wahrscheinlich, † 1568)
- Gestorben: Aldus Manutius, venezianischer Buchdrucker und Verleger (Februar, * 1449)
(Un-) Mittelalterliche Küche
Das Thema „Ernährung im Mittelalter“ weist noch immer etliche Lücken, Forschungsdesiderate und auch Uneinigkeiten unter Historikern und Archäologen auf. Deutet z.B. die geringe Zahl von im Umfeld mittelalterlicher (Adels-)Burgen gefundener Wildknochen darauf hin, dass die Jagd für die Ernährung keine große Rolle gespielt hat? Oder ist sie dadurch zu erklären, dass die erlegten Tiere an Ort und Stelle aufgebrochen wurden, die Knochen also im Wald oder auf dem Feld verblieben und nur das Fleisch in die heimische Küche geschafft wurde? (Vieles spricht für letztere These.)
Auch zahlreiche andere Aspekte des Themas bieten reichlich Möglichkeiten zu kritischer Quellenarbeit, zu Makro- und Mikrostudien oder auch zu praktischer Erprobung, Rekonstruktion und experimenteller Archäologie.
Das Mittelalter im Südwesten
Kürzlich hatte ich auf die Themenwoche „Das Mittelalter im Südwesten“ des SWR Fernsehens hingewiesen. Inzwischen hatte ich Gelegenheit, die zweiteilige gleichnamige Dokumentation zu sehen und mir ein Urteil zu bilden.
Ganz ohne Frage hat sich der SWR große Mühe gegeben – nicht nur was die Zusammenarbeit mit Experten und living history-Darstellern betrifft, sondern auch bei Recherche und Präsentation. Moderatorin Lena Ganschow wirkt sehr sympathisch und ernsthaft an ihrem Thema interessiert, spult nicht nur ein Programm ab, sondern vermittelt echten (oder gut gespielten) Spaß an der Sache, macht einen neugierigen und faszinierten Eindruck, statt allwissende Überheblichkeit zu verbreiten wie manche ihre Kollegen.
Der erste Teil widmet sich der Welt der Ritter und Burgen – ein Thema, das viele Menschen anspricht und wohl für die gewünschten Einschaltquoten gesorgt haben dürfte. Leider aber auch ein Thema, das inzwischen reichlich abgenutzt und wiedergekaut erscheint. Da hätte ich mir vom Sender etwas mehr Mut gewünscht, sich etwa dem Handwerk, der Ernährung, Reisen, Handel, Landwirtschaft oder dergleichen zuzuwenden – vielleicht in künftigen Sendungen?
Das gewählte Thema wurde jedenfalls recht vielseitig beleuchtet, vom Aufbau mittelalterlicher Burgen über die Herstellung und das Tragen von Rüstungen bis zu Belagerungsmethoden und der Rekonstruktion mittelalterlicher Armbruste. Immerhin wurde auch ein mittelalterliches Festmahl nachgekocht, wobei ich mir mehr Informationen über Zutaten und Zubereitung gewünscht hätte.
Die Darstellertruppe von „Anno 1476 – Städtisches Aufgebot e.V.“ machte ihren Job jedenfalls sehr gut, offenbart jedoch ein Problem der Sendung: Wie der Name schon sagt, haben sie eigentlich wenig mit Rittern und Burgen zu tun, deren Höhepunkt im 15. Jahrhundert ohnehin bereits deutlich überschritten wird. Beim Thema „Rüstung“ wurde dann auch zwischen der Präsentation eines hochmittelalterlichen Ritters mit Kettenhemd und Topfhelm und einem Darsteller in spätgotischem Harnisch (der die Beweglichkeit in „Vollplatte“ eindrucksvoll demonstrierte) hin und her gewechselt, ohne darauf hinzuweisen, dass zwischen den beiden Gestalten ein Zeitraum von etlichen hundert Jahren lag.
Überhaupt kamen konkrete Datierungen des Gezeigten und der behandelten Aspekte zu kurz bzw. gar nicht vor, so dass die rund tausendjährige Geschichte des Mittelalters (wieder einmal) als mehr oder weniger einheitliche Epoche erschienen – irgendwie halt alles „Mittelalter“. Dabei wurde doch gleich zu Beginn darauf hingewiesen, dass es sich entgegen populärer und früherer Vorstellungen um eine dynamische Zeit der Veränderung, der Innovationen und Grundsteinlegung für spätere Entwicklungen handelte. Hier wurde eine Chance verpasst, diese Dynamik an konkreten Beispielen festzumachen – schade!
Dennoch hob sich die gesamte Gestaltung der Sendung meiner Ansicht nach wohltuend von der sonst oft üblichen Mittelalterdarstellung im deutschen Fernsehen ab. Auf Schlachtendarstellungen, reißerische Spielszenen und ähnliche Showeffekte wurde dankenswerterweise verzichtet, und von kleineren Nachlässigkeiten und Ungenauigkeiten abgesehen bot das Format solide Information für ein interessiertes Publikum.
Der zweite Teil befasste sich mit dem Konzil von Konstanz 1414-1418 und der Stadt, in der es tagte. Hier waren die historischen Darsteller eindeutig besser aufgehoben, und die Beschränkung auf einen konkreten Raum und eine enge Zeitspanne machten es der Redaktion ohne Frage leichter, das Problem der historischen Verortung des Gezeigten und der Wiederholung von Jahreszahlen zu umschiffen.
Historischer Alltag, Ernährung, Glaube, Bekleidung, Handel und Handwerk wurde hier zumindest schlaglichtartig kurz beleuchtet. Außerdem kamen die anhaltende Faszination am Mittelalter, seine moderne Verklärung und Reduktion auf Rittertum und Kriegswesen zur Sprache, u.a. am Beispiel eines jährlichen „Mittelaltermarkts“ in Angelbachtal.
Ebenfalls Teil der Themenwoche war eine Ausgabe der Sendung „Planet Wissen“, in welcher der Aachener Unternehmer Bert M. Geurten sein Projekt „karolingische Klosterstadt Campus Galli“ vorstellen durfte. Angesichts der seit einiger Zeit von verschiedenen Seiten zunehmenden Kritik und insbesondere der jüngsten Vorwürfe der Misswirtschaft und Verschwendung von Steuergeldern (u.a. durch den Bund der Steuerzahler) hätte ich mir an dieser Stelle mal einige kritische Fragen und ein wenig Aufklärung gewünscht. Doch das passte wohl nicht zum Wohfühl-Konzept der Sendung, und so hatte der Zuschauer wieder einmal den Eindruck, einer Werbesendung mit zwei dauergrinsenden Moderatoren und einem onkelhaften Unternehmer beizuwohnen, der ganz selbstlos und uneigennützig der Welt und insbesondere der Tourismus-Region Bodensee ein visionäres mittelalterliches Erlebnisprojekt schenkt.
Mit Ungereimtheiten und dem Propagandagehalt der Sendung hat sich Hiltibold hinreichend auseinandergesetzt.
Über die Seite des SWR zum „Mittelalter im Südwesten“ gibt es noch einige weitere Links und kürzere, z.T. ältere Clips und Videos zu sehen. Ich finde es sehr begrüßenswert, dass sich der Sender mit diesem Thema auseinandersetzt und halte die Umsetzung bei aller vorsichtigen Kritik durchaus für gelungen. Es bleibt zu hoffen, dass der SWR seine Bemühungen in dieser Hinsicht fortsetzt und vielleicht anderen Sendern ein gutes Beispiel liefert. Dafür drücke ich die Daumen!
Weitere Filme und Ausschnitte auch auf dem YouTube-Kanals des SWR.
Mal wieder: Mittelalter im TV
Am 27. April 2014 widmet das SWR Fernsehen einen Thementag dem „Mittelalter im Südwesten„. Begleitend dazu laufen die ganze Woche über Beiträge in verschiedenen Formaten. Das Themenspektrum deckt mit dem Konstanzer Konzil (1414-1418) oder den Rittern und ihren Turnieren auch die großen aktuellen Ausstellungen in den Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museen, im Museum zu Allerheiligen in Schaffhausen sowie in Konstanz ab (mehr dazu im Blogbeitrag vom 17. April).
Ein eigener Beitrag beschäftigt sich mit dem Projekt „Karolingische Klosterstadt“ in Messkirch, wo der Aachener Unternehmer Bert M. Geurten dank Finanzierung von EU, Land und Stadt den St. Gallener Klosterplan aus dem 9. Jahrhundert in die Realität umsetzen will. Das Unternehmen ist im Lauf des vergangenen Jahres zunehmend in die Kritik (u.a. vom Bund der Steuerzahler) geraten, scheint mehr oder weniger pleite zu sein und muss daher wohl bereits mit zusätzlichen Steuergeldern unterstützt werden.
Während zahlreiche lokale und regionale Printmedien die kritischen und warnenden Stimmen seit geraumer Zeit geflissentlich ignorieren und lieber kommentarlos die (zahlreichen) PR-Verlautbarungen des Herrn Geurten veröffentlichen, bleibt abzuwarten, ob sich der (öffentlich-rechtliche) SWR in seiner Berichterstattung etwas kritischer zeigt.
An der Mittelalter-Reihe des Senders sind auch die Sendungen Odysso und Planet Schule bezeichnet. Letztere wird sich im Oktober noch einmal intensiv dem Thema „Mittelalter“ zuwenden, doch Beiträge zu „Das Mittelalter-Experiment“ sind online bereits jetzt abrufbar. Aus der Programmbeschreibung:
„Das Mittelalter – rückständig, kulturlos und finster. Diese Vorstellung über eine fast 1000 Jahre dauernde Epoche hält sich hartnäckig in unseren Köpfen.
Die sechsteilige Reihe von Planet Schule zeigt ein differenziertes Bild: Sie nimmt die Zuschauer mit auf eine Entdeckungsreise durch ein faszinierendes Zeitalter mit erfindungsreichen, gläubigen und zugleich sehr pragmatischen Menschen. Die Filme blicken aus der Perspektive der heutigen Mittelalterforschung auf mittelalterliches Leben, Kultur und Alltag.
Experimente, sorgfältige Reenactments und spektakuläre 3D-Animationen lassen das Mittelalter lebendig werden.“
Ich bin gespannt – immerhin werden fast gleich lautende Behauptungen auch regelmäßig von anderen Geschichtssendungen aufgestellt und dann doch oft genug nicht einmal ansatzweise in die Tat umgesetzt. Allerdings lässt die Beteiligung namhafter Darsteller und Unternehmen wie z.B. „Geschichtsfenster“ sowie die Tatsache, dass man sich für die Dreharbeiten offenbar viel Zeit gelassen und Vorschläge oder Einwände der Beteiligten ernst genommen hat, auf qualitativ hochwertigeres TV-„Edutainment“ hoffen.
Hier noch einmal die Links im Einzelnen:
- Das Mittelalter im Südwesten
- Programmübersicht: Was läuft wann?
- Planet Schule Spezial Schwerpunkt Mittelalter
- Planet Schule-Reihe: Das Mittelalter-Experiment
Wikinger im ZDF
Angesichts des Titels zeigten meine Fußnägel wieder einmal Tendenzen des Einrollens: „Terra X Große Völker: Die Wikinger„. Arrgh! Die Wikinger waren vieles, aber ein Volk?
Doch um es vorweg zu nehmen: So schlimm, wie befürchtet, war die 45 minütige Doku dann am Ende nicht. Vielleicht lag es an Prof. Rudolf Simek, der als Berater der Sendung fungierte und auch selbst als Experte auftrat. Ließen die ersten Minuten noch befürchten, es würde nur wieder einmal das Klischee von den wilden Barbaren aus dem Norden, den brutalen Plünderern, Schlächtern und Vergewaltigern bemüht, entwickelte sich doch im weiteren Verlauf eine recht ausgewogene und verschiedene Aspekte berücksichtigende Betrachtung. Die nordische Mythologie und Religion sowie die ambivalente Haltung der Skandinavier zum Christentum wurden ebenso thematisiert wie Gesellschafts- und Herrschaftsstrukturen oder Rechtsprechung.
Großen Raum nahmen erwartungsgemäß die Entdeckungsfahrten und Staatsgründungen der Wikinger ein. Dabei hätte ich mir jedoch (wie ganz allgemein bei wichtigen Ereignissen oder Entwicklungen) etwas mehr Chronologie und die Nennung der einen oder anderen Jahreszahl gewünscht. Warum allerdings zum Thema „Normandie“ die gotische Kathedrale von Mont St. Michel das Bild beherrschte, weiß wohl nur die Regisseurin.
Natürlich kommt keine Folge von Terra X ohne Spielszenen aus. Diese waren recht manierlich anzusehen, ohne weiteres Einrollen von Zehennägeln oder lautes Zähneknirschen. Natürlich wirkten die wilden Krieger eher ungepflegt, wo doch die Zahl der gefunden Kämme und anderen Utensilien der Körperpflege eher darauf schließen lassen, dass es sich bei den Wikingern um eine Art eitle frühmittelalterliche Dandies gehandelt haben muss.
Fellumhänge und Trinkhörner entsprechen wohl auch eher einer populären Vorstellung als dem aktuellen Forschungsstand, doch dafür wirkten die übrige Bekleidung und Ausstattung hinreichend authentisch. Wünschenswert wäre gewesen, etwas näher auf diese einzugehen, wie etwa auch auf das Handwerk der Wikinger (abgesehen vom Schiffbau). Doch natürlich ist es nicht möglich, in 45 Minuten erschöpfend alle Aspekte einer vergangenen Kultur zu behandeln.
Alles in allem war ich also von „Große Völker: Die Wikinger“ recht angenehm überrascht. Kein Meisterwerk zwar, kein revolutionäres Format, keine Sendung, die nun meine Meinung über die Geschichtskompetenz des Zweiten Deutschen Fernsehens grundlegend auf den Kopf gestellt hätte. Aber immerhin mal eine Mittelalterdoku, die meine (inzwischen sehr niedrigen) Erwartungen an Geschichte im Fernsehen nicht völlig enttäuschte – kleine Schritte!
Als wirklich störend, ärgerlich, unsinnig und geradezu dämlich empfand ich lediglich die gelegentlich eingestreuten Cartoons. Nicht nur passten die krakeligen Figuren überhaupt nicht zum übrigen Stil der Dokumentation, sie entsprachen auch mit ihren Hörnerhelmen und sonstigen Klischees genau jenem Bild der Wikinger, gegen das sich der Rest der Sendung doch eigentlich explizit (in Form von Wagners Germanen oder Wiki & die starken Männer) richtete. Sollte das witzig oder ironisch sein? In meinen Augen wirkte es allenfalls lächerlich und infantil, eher auf dem Niveau alberner, billiger Kindersendungen als dem, was diese Folge von Terra X ansonsten zu bieten hatte.
Hier gibt es offizielle Infos und Videoclips zur Sendung.