Das „Heilige Römische Reich (Deutscher Nation)“ existierte von 962 bis 1806 und war zeit seines Bestehens ein höchst eigentümliches Konstrukt. Zahlreiche Personen, Ereignisse und Entwicklungen haben seine Geschichte geprägt, und die vorliegende Ausgabe der Zeitschrift „GEO Epoche“ unternimmt den Versuch, auf knapp 180 Seiten einige davon näher zu beleuchten. Von Karl dem Großen und der Idee eines christlichen Kaisertums im Westen bis zu Napoleon und der Abdankung Kaiser Franz‘ II. spannt sich der Bogen der Beiträge teils namhafter Autorinnen und Autoren. Behandelte Themen umfassen etwa den Wormser Reichstag von 1495, die Reformation in Nürnberg, den Dreißigjährigen Krieg oder auch die Insignien des Kaisertums.
Den Verfassern gelingt vielfach, nicht zuletzt durch die konsequente, ungewöhnliche Erzählweise im Präsens und zuweilen die Perspektive von Beteiligten oder Zeitgenossen, eine lebendige, anschauliche Schilderung der Ereignisse und Zustände. Als Leser fühlt man sich häufig sehr dicht am Geschehen, doch stellt sich zuweilen die Frage, woher die Autoren ihre Kenntnisse über die vergangenen Zeiten beziehen, etwa wenn es von der Ausbildung zum Ritter im 15. Jahrhundert heißt:
„Schon als Fünfjährige zwingt man sie aufs Pferd und bindet sie im Sattel fest. Drückt sie in den Dung der Ställe, wo sie still liegen müssen, den Bissen, Tritten und Ausscheidungen der Tiere ausgesetzt.“
(Jörg-Uwe Albig: Götz von Berlichingen, S. 90)
Der Verzicht auf die Angabe von Quellen birgt die Gefahr, eine Nähe und ein Wissen über die historischen Gegebenheiten zu suggerieren, die von der Forschung zuweilen schwerlich gestützt werden können.
Problematisch erscheint zudem die Illustration mehrerer Artikel durch Geschichtsdarstellungen des 19. Jahrhunderts. Diese können für die dargestellte Zeit keinen Quellencharakter beanspruchen und sind zudem oft von nationalistischen, die Vergangenheit verklärenden Motivationen geprägt. Auch die Verwendung burgundischer Buchmalereien des 15. Jahrhunderts in einem Beitrag über Otto I. (936-973) trägt nicht unbedingt dazu bei, ein realistisches Bild der damaligen Verhältnisse zu transportieren.
Die Lebensbeschreibung des Raubritters Götz von Berlichingen wiederum wird durch stimmungsvolle Fotografien verschiedener Burgen illustriert. Allerdings liegen die meisten davon im Osten des heutigen Deutschland, und keine hat irgendeinen Bezug zum Thema des Beitrags. So erscheint die Bildauswahl des Hefts zuweilen etwas willkürlich und geradezu „grobmittelalterlich“ – es ist ist eben „irgendwie alles Mittelalter“. (Bei den neuzeitlichen Themen besteht das Problem nicht.) Das ist ein wenig schade, aber dennoch lassen sich die Texte durchaus mit Gewinn lesen.
Eine Zeittafel und (etwas spärliche) Literaturhinweise erhöhen den Nutzwert des Magazins.
DVD-Beilage
Das Heft ist entweder einzeln oder zusammen mit einer DVD erhältlich. Dabei handelt es sich um die dreiteilige sogenannte Dokumentation „Karl der Große – Der erste Kaiser“ aus dem Jahr 2013. Mit großem filmischem und technischem Aufwand wird hier die Lebensgeschichte des Frankenherrschers ins Bild gesetzt, eingebettet in eine Rahmenhandlung, in der der gealterte Einhard einem jungen Schreiber seine „Vita Karoli Magni“ diktiert.
Zwischen die Spielszenen sind Aussagen namhafter Historiker und Experten wie Johannes Fried, David Nicolle oder Dame Janet Nelson eingebettet. Mit Hilfe dieses geballten Wissens hätte es eigentlich möglich sein müssen, eine historisch fundierte und zugleich spannende und unterhaltsame Dokumentation zu produzieren, doch leider versagt das Machwerk hier auf ganzer Linie.
Angefangen von peinlichen Dialogen und albernen Bettszenen erinnert das Schauspiel eher an eine billige Fantasy-Trash-Produktion als an ein seriöses Format mit Bildungsanspruch. Wer soll hier eigentlich die Zielgruppe sein?
Ganz und gar unterirdisch ist das Niveau der Ausstattung, das selbst die extrem niedrigen Standards von Fernsehserien wie „Vikings“ noch locker unterbietet. Ich will gar nicht auf die allgegenwärtigen Kerzen und Fackeln, orientalische Teppiche als Bodenbelag oder moderne Sättel und Steigbügel eingehen, doch was etwa (durchaus hübsche) Renaissance-Himmelbetten in einer Dokumentation über das 8.-9. Jahrhundert zu suchen haben, wird wohl ein Geheimnis der Fernsehmacher bleiben.
Für die Bekleidung wurden offenbar übrig gebliebene Bestände sämtlicher Geschichts- und Märchenproduktionen der vergangenen 20 Jahre geplündert. Da wird unter fachkundiger Leitung des britischen Militärhistorikers David Nicolle ein Beschusstest auf Kettenhemden durchgeführt, von denen es zu Recht heißt, sie seien das wichtigste Element der Körperpanzerung der Zeit gewesen. Warum tragen die Darsteller diese dann nicht im Film, sondern … ja, was soll das eigentlich sein, was die Franken da unter ihre wehenden roten Umhänge geschnallt haben??? Und warum schlagen sie 773 n.Chr. (!) beidhändig mit Langschwertern des 14.-15. Jahrhunderts auf die Sachsen ein? Das alles ist Grobmittelalter auf unterstem Mittelaltermarkt-Niveau!
Es lohnt nicht, noch weitere Worte über dieses mit einer großen Menge an öffentlichen Fördergeldern produzierte Machwerk zu verlieren. Der in weiten Teilen durchaus ernstzunehmende Inhalt und die fundierten Aussagen der zu Rate gezogenen Experten werden leider durch die vollkommen unhistorische, lächerliche und letztlich vollkommen überflüssige Darstellung überschattet. Hier wurde mit viel Pomp und Getöse eine große Chance vertan. Schade!
GEO Epoche 70 (Dezember 2014): Karl der Große und das Reich der Deutschen. 172 S. ISBN 978-3-652-00341-4. € 10,- (Einzelheft), € 17,50 (mit DVD).