Fundstücke KW 24

"Die bis jetzt älteste Hose der Welt. Man beachte den weiten Schnitt im Schritt, der das Beinkleid zur idealen Reiterhose machte." foto: mayke wagner, dai peking (via derstandard.at)

"Die bis jetzt älteste Hose der Welt. Man beachte den weiten Schnitt im Schritt, der das Beinkleid zur idealen Reiterhose machte." foto: mayke wagner, dai peking (via derstandard.at)

 

 

Crowdfunding: Die Zukunft geisteswissenschaftlicher Forschung?

Der Brite Spencer Gavin Smith möchte eine Dissertation zum Thema mittelalterliche Parks und Gärten verfassen. Zur Finanzierung der Arbeit vertraut er auf Crowdfunding, also freiwillige Spenden von Leuten wie Du und ich, die das Projekt unterstützenswert finden und im Rahmen ihrer Möglichkeiten Geld dafür locker machen. Auf www.gofundme.com hat er eine Seite eingerichtet, auf der mögliche Unterstützer Informationen zu seinem Vorhaben abrufen und ihren Beitrag zu seiner Finanzierung leisten können (außerdem betreibt er ein Blog).

2.000 Britische Pfund hofft der Historiker auf diese Weise zu gewinnen – eine moderate Summe, wenn man bedenkt, in welcher Höhe wissenschaftliche Dissertationen normalerweise durch Stipendien gefördert werden. Aber wie lange noch? Im Vergleich zu naturwissenschaftlicher Forschung führen die Geisteswissenschaften ohnehin ein Schattendasein. Die öffentlichen Mittel, die etwa jedes Jahr in die Geschichtsforschung fließen, dürften wahrscheinlich nicht einmal ausreichen, um einen einzelnen Forschungssatelliten ins All zu schießen oder einen Teilchenbeschleuniger länger als einige Stunden oder Tage in Betrieb zu halten. (Zugegeben, ich habe das jetzt nicht recherchiert oder ausgerechnet!)

Doch selbst die bescheidenen Mittel, die etwa der Erforschung unserer eigenen Vergangenheit zur Verfügung stehen, sind inzwischen beständiger Erosion ausgesetzt. Nordrhein-Westfalen hat den Anfang gemacht und beschlossen, die Förderung von Archäologie und Denkmalpflege bis 2015 auf Null zu reduzieren. Ungeachtet anderslautender Beteuerungen dürften ähnliche Erwägungen in anderen Bundesländern längst im Gange sein.

Spencer Gavin Smith ist längst nicht der Einzige. Auf Crowdfunding-Plattformen wie Kickstarter oder Indiegogo („Finanziere, was Dir wichtig ist!“) buhlen vermehrt junge Geisteswissenschaftler um private Finanzierung ihrer Forschungsvorhaben. Doch was bedeutet das – ist diese Bewegung Ausdruck und Folge einer Krise in der Finanzierung geisteswissenschaftlicher Forschung? Oder ein innovativer Ansatz, um die Öffentlichkeit  stärker in die Produktion und Ergebnisse geisteswissenschaftlicher Forschung zu integrieren? Kann so ein neues Interesse an den Humanities generiert werden oder leistet ein solches Vorgehen dem schleichenden Rückzug der öffentlichen Hand aus der Finanzierung geisteswissenschaftlicher Arbeiten unnötig Vorschub? Und besteht dann nicht die Gefahr, dass nur noch gefördert wird, was gerade en vogue ist und dem Geschmack der Massen entspricht?

Sollten Arbeiten in den Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften nicht der Allgemeinheit dienen, der Allgemeinheit zur Verfügung stehen und daher von der Allgemeinheit, sprich: der öffentlichen Hand finanziert werden? Oder ist es nur fair und richtig, der Allgemeinheit die Wahl zu lassen, welche Arbeiten sie mit welchem Betrag fördern möchte?

Zugegeben: Ich habe zu diesem Zeitpunkt auch keine Antworten. Die weitere Entwicklung bleibt abzuwarten …

Kleine historische Quellenkunde

Die Beschäftigung mit Geschichte beginnt mit der Befragung der Quellen.

Doch was sind „Quellen“ im Sinne der Geschichtswissenschaft? Um es mit den Worten meines einstigen Geschichtslehrers Herrn Theo Hill auszudrücken:

Alles, was aus alten Zeiten auf uns gekommen ist.“

Oder etwas wissenschaftlicher formuliert von Paul Kirn:

Quellen nennen wir alle Texte, Gegenstände oder Tatsachen, aus denen Kenntnis der Vergangenheit gewonnen werden kann“.

Texte: Jegliche Form der schriftlichen Überlieferung aus der Vergangenheit kann der Geschichtswissenschaft grundsätzlich als Quelle dienen, ganz gleich, ob es sich dabei um erzählende Literatur (Romane, Schwänke, Theaterstücke, Sagen, Mythen etc.), wissenschaftliche Texte, Schriftgut der Verwaltung (Akten aller Art, Verträge, Gesetzestexte, Rechnungsbücher, Gerichts- und andere Protokolle etc.), persönliche Aufzeichnungen (Tagebücher, Notizen etc.), Inschriften oder ähnliches handelt. Zu unterscheiden, aber in Relation zueinander zu setzen sind dabei der Inhalt des Textes und seine Form (Sprache, Schrift, Gestaltung, Medium etc.).

Gegenstände: Jedes Objekt, das sich aus früheren Zeiten auf die eine oder andere Weise erhalten hat, kann Auskunft über damalige Lebens- und Produktionsbedingungen geben, auf den Grad der Kunstfertigkeit seines Herstellers sowie Geschmack und Moden verweisen, sowie viele weitere Erkenntnisse liefern, wenn die entsprechenden Untersuchungen möglich sind. Der Bereich der Gegenstände umfasst dabei ein extrem breites Spektrum, von prähistorischen Lederresten oder Feuersteinabschlägen über sterbliche Überreste, weggeworfene Alltagsgegenstände und Grabbeigaben bis hin zu Bauwerken. Der historische Erkenntniswert ist dabei unabhängig vom künstlerischen oder materiellen Wert des Objekts.

Tatsachen: Der Begriff der „Tatsachen“ als historische Quellen ist etwas schwerer zu fassen als „Texte“ und „Gegenstände“. Gerade dieser Aspekt ist jedoch ungemein wichtig und wird gerne übersehen, denn er erinnert uns daran, dass praktisch alles, was uns heute umgibt, mit Geschichte behaftet und historisch aus bestimmten Bedingungen und Umständen heraus erwachsen ist. Gemeint sind also etwa gesellschaftliche oder politische Gegebenheiten wie der Föderalismus in Deutschland, der Zentralismus in England und Frankreich, die europäischen Sprach-, Religions- und Landesgrenzen, die unterschiedlichen Nationalsportarten oder Essgewohnheiten, um nur einige Beispiele zu nennen.

Werkzeug aus dem Mittelalter

Alles, was aus der Vergangenheit auf unsere Zeit überkommen ist, kann als Quelle historischer Erkenntnis dienen.

Tradition und Überreste

Nach Ernst Bernheim („Lehrbuch der historischen Methode“, 1889) unterscheidet die Geschichtswissenschaft zwei Quellengattungen: als „Tradition“ wird bezeichnet, was von historischen Begebenheiten

übrig geblieben ist, hindurchgegangen und wiedergegeben durch menschliche Auffassung
(Klaus Arnold, Art. Quellen, in: Lexikon der Geschichtswissenschaft. Hundert Grundbegriffe, Stuttgart 2002, S. 253).

Dagegen gilt als „Überrest“, was unmittelbar von den historischen Begebenheiten übrig geblieben ist. Vereinfacht ausgedrückt: „Tradition“ war von vornherein für die Überlieferung an die Nachwelt bestimmt, „Überreste“ hingegen sind mehr oder weniger zufällig und willkürlich erhalten geblieben.
Bücher, Urkunden, Chroniken, Akten und ähnliche Textquellen sind im Allgemeinen zur Tradition zu rechnen, desgleichen Monumente, Inschriften und ähnliches. Eine zufällig als Lesezeichen erhaltene Notiz, ein Einkaufszettel oder dergleichen hingegen gilt als Überrest. Sachgüter wie Essgeschirr, Werkzeuge oder Waffen, die aus einer mittelalterlichen Abfallgrube oder einem Moor geborgen werden, zählen ebenfalls zu letzterer Gattung. Nicht immer ist diese Unterscheidung jedoch mit aller Klarheit zu treffen, der Nutzen einer solchen Kategorisierung wird daher von manchen Historikern angezweifelt. Mitunter entscheidet die Klassifizierung als „Tradition“ oder „Überrest“ jedoch über den Erkenntniswert einer Quelle und über die Fragen, die an sie gestellt werden sollten.

Mittelalterliche Urkunde

Eine mittelalterliche Urkunde in lateinischer Sprache: wann wurde sie geschrieben? Von wem? Wo? Für wen? Mit welcher Absicht? Worum geht es? Wessen Siegel ist angehängt? Was verraten Schreibstil, Material, Ausgestaltung?

Quellenkritik

Quellen können nur dann etwas über die Vergangenheit erzählen, wenn die richtigen Fragen an sie gerichtet werden. Daher gilt es zunächst, sich mit der Entstehung und Überlieferung einer Quelle auseinanderzusetzen. Naturgemäß von höchstem Interesse ist die Frage, wann die Quelle entstanden ist. Zur Datierung von Textquellen können neben direkten oder indirekten (z.B. Erwähnung von bestimmten Ereignissen) Datumsangaben etwa der Schriftstil oder bestimmte Gestaltungsmerkmale dienen. Für Gegenstände kommen neben Stilanalysen vor allem technische Methoden (Dendrochronologie, C14-Methode etc.) in Frage.
Desweiteren gilt es zu bestimmen, wo die Quelle entstanden ist und von wem sie stammt. Insbesondere bei Textquellen ist außerdem die Aussageabsicht von größter Wichtigkeit, sowie die Frage nach dem intendierten Publikum. Bei Sachgegenständen drängen sich Fragen nach Fertigungsweise, verwendeten Werkzeugen, Verwendungszweck, Benutzerkreis etc. auf.

Die wissenschaftliche Beschäftigung mit Quellen ist jedoch mit zahlreichen Problemen behaftet. An erster Stelle gilt zu beachten, dass die Überlieferung stets nur einen Ausschnitt darstellt und das Bild der tatsächlichen Begebenheiten nicht unwesentlich verzerren kann. So sind etwa Museen und Archive voll von kostbaren mittelalterlichen Prachthandschriften, die bereits zur Zeit ihrer Entstehung überaus wertvolle Einzelstücke darstellten. Ihr künstlerischer und materieller Wert hat ihre Überlieferung begünstigt, wohingegen etwa die hunderte und tausende Pilgerführer, die im Verlauf des Mittelalters im Umlauf gewesen sein müssen, nicht überdauert haben, weil sie irgendwann veraltet, überholt, unbrauchbar und nutzlos geworden waren und von ihren Besitzern entsorgt worden sind. Derartige Massenartikel sind jedoch ohne Zweifel repräsentativer für die mittelalterliche Buchproduktion und könnten als historische Quelle mehr über das Leben in jener erzählen als etwa der Echternacher Codex.
Viele Texte sind zudem gar nicht von ihren Verfassern auf uns gekommen, sondern durch Bearbeitungen, Abschriften, Übersetzungen, spätere Aufzeichnung ursprünglich mündlicher Überlieferung etc. Es mögen Fehler, bewusste Änderungen, persönliche Ansichten u.ä. in die vorliegende Fassung eingeflossen sein.
Zu beachten gilt außerdem, dass Quellen lügen können – auch das gilt natürlich insbesondere für textliche Überlieferungen. Von gar nicht so seltenen Urkundenfälschungen abgesehen, stellt sich immer die Frage: was war die Absicht des Autors? In Schlachtbeschreibungen geht es oft darum, die Leistungen der eigenen Truppen oder einzelner Beteiligter hervorzuheben. Mittelalterliche Herrscherporträts (in Schrift oder Bild) geben selten ein wirklichkeitsnahes Bild wieder, sondern dienen vornehmlich politischen Zwecken. Gesetzestexte setzen Normen, die jedoch noch keine Aussage darüber zulassen, ob sie eingehalten wurden oder wie sich die Zustände tatsächlich gestaltet haben.

Der "Codex aureus Epternacensis" oder "goldene Codex von Echternach" - eines der prachtvollsten erhaltenen Bücher aus dem Mittelalter, ein Beispiel allerhöchster Kunstfertigkeit. Aber steht sein Wert als Quelle in Zusammenhang mit seinem künstlerischen oder materiellen Wert?

Der „Codex aureus Epternacensis“ oder „goldene Codex von Echternach“ – eines der prachtvollsten erhaltenen Bücher aus dem Mittelalter, ein Beispiel allerhöchster Kunstfertigkeit. Aber steht sein Wert als Quelle in Relation zu seinem künstlerischen oder materiellen Wert?

Jede Quelle ist auf ihre Weise einzigartig und erfordert die ihr angemessenen Fragestellungen, Untersuchungen, kritischen Betrachtungen, Vergleiche etc. Einen Blick für diese Probleme zu gewinnen, die entsprechenden Methoden, Verfahren, Konventionen im Umgang mit Quellen aus verschiedenen Zeiten und Räumen zu erlernen und anzuwenden ist wesentlicher Bestandteil eines geschichtswissenschaftlichen Studiums.

Historische Hilfswissenschaften

Die Fülle unterschiedlicher Quellen hat zahlreiche spezialisierte Disziplinen zu ihrer Erforschung hervorgebracht, auf die ich in zukünftigen Beiträgen näher einzugehen hoffe. Die Epigraphik befasst sich mit Inschriften, die Paläographie mit Handschriften, die Kodikologie mit alten Büchern („Codices“). Zusammen mit etlichen anderen Teildisziplinen werden sie zu den „historischen Hilfswissenschaften“ gezählt, worunter mancher Historiker auch die Archäologie rechnet, sehr zum Ärger der Archäologen. Mit Gegenständen als historischen Quellen befasst sich außerdem die Realienkunde.
Zu den jüngsten Entwicklungen zählt die Entstehung der „experimentellen Archäologie“, die versucht, durch Rekonstruktion und praktische Erprobung Erkenntnisse über die Herstellung und Anwendung historischer Werkzeuge und Verfahren zu gewinnen.

Moderne Ansätze zur lebendigen Vermittlung von Geschichte – Ein kurzer Überblick über Konzepte und Begriffe

Lebendige Geschichtsdarstellung, „Reenactment“ und „experimentelle Archäologie“ sind Begriffe, die seit einigen Jahren auch in der Berichterstattung populärer Medien wie Spiegel Online oder SZ Online immer wieder auftauchen. Oft genug wird dabei jedoch nicht ausreichend zwischen den einzelnen Konzepten unterschieden, werden etwa „Reenactment“ und „experimentelle Archäologie“ als Synonyme verwendet oder unter der Bezeichnung „Histotainment“ zusammengefasst.
Ohne auf ihre Anwendung in didaktischen oder anderen Kontexten näher einzugehen, will ich im Folgenden versuchen, diese Begriffe und die hinter ihnen stehenden Konzepte zu erläutern. Da es keine allgemein gültigen, von einer übergeordneten Instanz festgelegten Definitionen gibt (oder geben kann), spiegeln diese Ausführungen letzten Endes meine persönliche Sicht wider und weichen zum Beispiel mitunter von den verlinkten Definitionen aus der deutschen Wikipedia ab.
Dennoch hoffe ich, mit diesem Beitrag ein wenig Licht ins Dunkel der Begriffe zu bringen und der Sprachverwirrung entgegen wirken zu können.

Living history oder reenactment? Ein "Normanne" und ein "Angelsachse" am Schauplatz der Schlacht von Hastings.

Living history oder reenactment? Ein "Normanne" und ein "Angelsachse" am Schauplatz der Schlacht von Hastings.

Histotainment
Der Begriff ist ein Kunstwort, zusammengesetzt aus den englischen Ausdrücken history und entertainment. Bezeichnet werden so gerne Versuche aller Art, mit Geschichte zu unterhalten oder Geschichte unterhaltsam zu präsentieren. Darunter fallen etwa mit Spielszenen angereicherte TV-Dokumentationen zu historischen Themen ebenso wie Darstellungen in Museen oder auf Veranstaltungen wie z.B. Mittelaltermärkten, aber auch Lernspiele, Bastelbücher oder Mitmach-Angebote unterschiedlichster Art.
Der Begriff wurde in der Vergangenheit oft abwertend verwendet, bevorzugt um oberflächliche Geschichtsdarstellungen im Fernsehen zu bezeichnen. Seit 2003 ist „Histotainment“ eine eingetragene Wort- und Bildmarke der Histotainment GmbH Osterburken.

 

Living History
Living History bezeichnet ganz allgemein das Nacherleben vergangener Epochen, das unterschiedliche konkrete Formen annehmen kann. Im Vordergrund steht zunächst weniger die Darstellung nach außen, als das persönliche Erlebnis des Akteurs, der sich für einen begrenzten Zeitraum in Bekleidung, Ernährung, Ausstattung, Handeln, allgemeinen Lebensumständen etc. auf die von ihm gewählte historische Epoche einlässt.
Im weiteren Sinne kann living history auch das allgemeine Erlebbarmachen von Geschichte bezeichnen, von der Anlage eines Klostergartens nach Vorgaben des 10. Jahrhunderts über die Rekonstruktion und Erprobung historischer Fahrzeuge oder Maschinen bis zum Bau von Gebäuden nach historischem Vorbild und mit zeitgenössischen Methoden und Werkzeugen. Auch die Wiederbelebung alter Kampfkünste lässt sich als living history deuten.

Lebendige Geschichte, erlebbare Geschichte
Das gesamte Bedeutungsspektrum des englischen Ausdrucks „living history“ – lebendige Geschichte, Geschichte (er-)leben – lässt sich im Deutschen nicht wiedergeben. Die Bezeichnung „lebendige Geschichte“ wird meistens synonym für living history verwendet. „Erlebbare Geschichte“ betont stärker den Erfahrungscharakter, das Selbermachen, Dabeisein – Geschichte wird nicht einfach lebendig, sondern sie wird zum Leben erweckt, durch Darsteller, Atmosphäre, Ausstattung, Ausübung oder Vorführung historischer Tätigkeiten etc. Im Übrigen gilt das unter dem Stichwort „living history“ Gesagte.

Lebendige Geschichte: Altes Handwerk in Aktion.

Reenactment
Reenactment bedeutet „Wiederaufführung“, ist aber etwas weniger sperrig als der deutsche Ausdruck und seit langem eingeführt. Er bezeichnet die Inszenierung oder Darstellung konkreter historischer Ereignisse – meistens Schlachten, aber etwa auch Hochzeiten, Krönungen, Belagerungen, Hannibals Marsch über die Alpen oder ähnliches. Die Veranstaltung eines Ritterturniers in heutiger Zeit ist zunächst einmal kein Reenactment, es sei denn, es handelt sich um die Inszenierung eines historisch belegten Turniers, das zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit tatsächlich stattgefunden hat, und die Teilnehmer übernehmen Rollen, die sich aus entsprechenden Quellen belegen lassen. Verlauf und Ausgang einer solchen Darstellung sind daher zumindest bis zu einem gewissen Grad durch die Überlieferung vorgegeben: Da King Harold bei der Schlacht von Hastings 1066 ums Leben kam, darf er bei den alljährlichen Reenactments nicht überleben, sein Tod muss also entsprechend inszeniert werden.
Reenactments sind also Bestandteil von living history, aber nicht jede Darstellung von lebendiger Geschichte ist reenactment.

First Person Interpretation
Bei der first person interpretation schlüpft ein Darsteller in die Rolle einer konkreten (realen oder fiktiven) historischen Person. Er spricht also in der 1. Person, ganz gleich, ob er mit Mitspielern agiert oder sich ans Publikum wendet. Während die first person interpretation für Reenactments unabdingbare Voraussetzung ist, gilt das für andere Formen der Geschichtsdarstellung oder living history nicht unbedingt. Anders ausgedrückt: Das Tragen einer historischen Gewandung verpflichtet nicht automatisch dazu, eine Rolle einzunehmen und in deren Sinne zu sprechen und zu agieren.
Einer solchen Interpretation sind natürliche Grenzen gesetzt. Während etwa für das 18. oder 19. Jahrhundert Umgangsformen aus Benimmbüchern und anderen Quellen überliefert sind, ist deren Anwendung im Alltag keineswegs immer gesichert. Noch problematischer sind Darstellungen aus früheren Epochen wie Mittelalter oder Antike, wo bereits die Sprachformen (Mittelhochdeutsch, Latein o.ä.) Darsteller wie Publikum vor kaum zu überwindende Probleme stellen.

Third Person Interpretation
Im Unterschied zur first person interpretation wird bei der Verwendung der 3. Person die Distanz zur dargestellten Epoche gewahrt. Der Darsteller trägt zwar zeitgenössische Bekleidung, übt vielleicht auch historische Tätigkeiten aus oder führt diese vor, bleibt dabei jedoch er selbst, spielt also keine Rolle. Diese Form der Interpretation erleichtert die Interaktion mit dem Publikum und eignet sich besonders für Museumsführungen, Programme in Schulen und ähnliche Veranstaltungen, die in einem eindeutig modernen, didaktischen Kontext stehen und keine Spielszenen umfassen oder erfordern. Insbesondere für Epochen oder Kulturen, bei denen Sprach- oder andere Schwierigkeiten einer first person interpretation entgegenstehen, bietet sich die 3. Person als Alternative an.

Experimentelle Archäologie oder doch "nur" living history? Rekonstruktion und Betrieb eines Tretkrans nach mittelalterlichem Vorbild.

Experimentelle Archäologie oder doch "nur" living history? Rekonstruktion und Betrieb eines Tretkrans nach mittelalterlichem Vorbild.

Experimentelle Archäologie
Die experimentelle Archäologie versucht, durch archäologische Untersuchungen gewonnene Erkenntnisse durch praktische Anwendung zu verifizieren. Zu ihren typischen Aufgaben zählen etwa Nachbau und Erprobung historischer Werkzeuge, Waffen, Gewebe, Fahrzeuge, Alltagsgegenstände, Behausungen etc., aber auch Färbeversuche mit Pflanzenfarben, Eisengewinnung im Rennfeuerofen und vieles mehr. Im Vordergrund steht der Erkenntnisgewinn durch wissenschaftliche Methoden, d.h. Quellenlage, Vorbereitung, Durchführung und Ergebnisse des Experiments werden nach bestimmten Standards dokumentiert. Das „Erlebbarmachen“ von Geschichte ist dagegen zweitrangig, Experimentalarchäologen tragen nur ausnahmsweise historische Bekleidung und üben ihre Arbeit nicht vorrangig vor Publikum aus. Dennoch gibt es Überschneidungen mit der living history, die in vieler Hinsicht auf den Erkenntnissen der experimentellen Archäologie basiert und deren Protagonisten im besten Fall auch selbst nach experimentalarchäologischen Standards arbeiten.
Die „Europäische Vereinigung zur Förderung der experimentellen Archäologie e.V.“ (EXAR) bemüht sich u.a. um eine Vereinheitlichung solcher Standards.

LARP
LARP ist die Abkürzung für live action role play, oft auch als Live-Rollenspiel bezeichnet. Die Akteure spielen eine Rolle und tragen entsprechende Kostüme. LARPs können in einem historischen Kontext stattfinden, weit häufiger sind jedoch Fantasy- oder Science Fiction-Szenarien. Anders als bei Reenactments folgen die Geschichten keinem festen „Drehbuch“, sondern können je nach Verhalten und Interaktion der Akteure einen anderen Verlauf nehmen. Beim LARP geht es nicht um die Darstellung von Geschichte, sondern um das Erleben von Geschichten.

SCA
Die Society for Creative Anachronism („Gesellschaft für kreativen Anachronismus“, SCA) wurde 1966 von US-amerikanischen Studenten gegründet. Inzwischen gibt es zahlreiche Gruppen und Anhänger auf der ganzen Welt, die in frei erfundenen „Königreichen“ organisiert sind. Einige Mitglieder betreiben sehr ernsthafte Forschungen und versuchen, das Leben vor dem Jahr 1600 zu rekonstruieren und erlebbar zu machen. Andererseits inkorporiert die Welt der SCA aber auch zahlreiche Elemente des LARP, etwa in ihren Turnieren, bei denen Polsterwaffen zum Einsatz kommen, oder in Szenarien, mit denen die Geschichte der fiktiven Königreiche erzählt wird. Das (inoffizielle) Motto der SCA lautet: „Das Mittelalter, wie es hätte sein sollen“.

"Populäre" vs. "akademische" Geschichte?

Anlässlich der Verleihung des Wolfson History Prize warf Professor Sir Keith Thomas jungen Nachwuchshistorikern kürzlich vor, ihre Thesen lieber in populären Publikationen für einen Massenmarkt zu verbreiten, als sich seriöser akademischer Forschung zu widmen. Einem Beitrag in der britischen Tageszeitung The Independent zufolge sieht der angesehene Historiker aus Oxford in der zunehmenden und erfolgreichen Popularisierung geschichtlicher Themen eine Gefahr für den „Status akademischer Forschung“. Seine Abneigung, die er mit dem Autor des Artikels im Independent und zahlreichen Fachkollegen teilt, richtet sich in erster Linie gegen die als „tele-dons“ diffamierten jungen Moderatoren populärer Geschichtssendungen im britischen Fernsehen, die im Kampf um Ruhm und Einschaltquoten wissenschaftliche Standards hintanstellten, Geschichte kommerzialisierten und komplexe Themen auf leicht konsumierbare Appetithäppchen reduzierten.

Sir Keiths Thesen haben im web 2.0 eine angeregte Debatte ausgelöst, in die sich am Tag darauf auch die britische Tageszeitung The Telegraph einschaltete. In seinem Artikel verteidigt Autor Peter Stanford die jungen Historiker und TV-Moderatoren, deren Arbeit viel dazu beitrage, ein breites Publikum überhaupt für historische Themen zu interessieren. Nicht den Akademikern, sondern den Autoren populärwissenschaftlicher Werke sei es schließlich zu verdanken, dass sich die Verkaufszahlen von Büchern mit historischen Themen in Großbritannien im vergangenen Jahrzehnt ungefähr verdoppelt haben. Statt den TV-Historikern vorzuwerfen, ihre Themen für ein breites Publikum bis zur Bedeutungslosigkeit zu trivialisieren, sollte man lieber fragen, warum so viele Hochschullehrer Geschichte auf so trockene und langweilige Art vermittelten, so der Autor.

Ich muss gestehen, ich beneide die Briten um diese Debatte – wie um so vieles, das mit Geschichte zu tun hat! Wo sind in diesem Land die jungen Historiker, die den Buchmarkt mit populären Darstellungen historischer Themen bereichern? Wo sind die Dokumentarserien im Fernsehen, die Lust auf Geschichte machen? Sind „Deutschlands Supergrabungen„, Guido Knopp, „Hitlers Hunde“, Drittes Reich und RAF tatsächlich das Einzige, was Deutschlands Vergangenheit zu bieten hat?

Auf die Diskrepanz zwischen „populären“ und „akademischen“ Geschichtsbildern habe ich unlängst bereits in einem Interview mit L.I.S.A., dem Wissenschaftsportal der Gerda-Henkel-Stiftung hingewiesen. Und nach wie vor bin ich der Ansicht, dass „populär“ nicht gleichbedeutend sein muss mit „trivial“. Geschichte ist nun mal für alle da, und sie ist  zu wichtig, um ihre populäre Darstellung allein in den Händen nicht fachlich ausgebildeter Laien, ihre wissenschaftliche Erforschung unter Ausschluss der Öffentlichkeit in den Gewölben des akademischen Elfenbeinturms vermodern zu lassen.

Ein Problem, das in Großbritannien, Deutschland und zahlreichen anderen Ländern gleichermaßen akut ist, besteht im Mangel an Berufsperspektiven für junge Historiker. Auf befristeten Arbeitsverträgen lässt sich auf Dauer keine Zukunft aufbauen. Der Taxi fahrende Geisteswissenschaftler mag eine Ausnahmeerscheinung sein – der an Universität oder Forschungseinrichtung fest angestellte junge Dr. Phil. ist es jedoch inzwischen auch! Kann man den britischen Kollegen da wirklich einen Vorwurf machen, wenn sie lukrative Angebote der TV-Sender und Publikumsverlage annehmen? In Deutschland lauten die  Alternativen derzeit vornehmlich Schuldienst, Journalismus oder freie Wirtschaft. Wie viel Potenzial geht da verloren?

Ja, ich wünsche mir, auch auf deutschen Fernsehbildschirmen junge, ausgebildete Historikerinnen und Historiker sehen zu können, die ihr Fachwissen auf unterhaltsame, spannende Weise einem breiten Publikum zugänglich machen. Die durch ihre Persönlichkeit, ihren eigenen Lebensweg vermitteln, dass die ernsthafte Beschäftigung mit Geschichte durchaus Spaß macht. Dass hinter aller Auseinandersetzung mit Quellen, Zahlen, Fakten doch immer die Menschen einer vergangenen Zeit im Mittelpunkt des historischen Interesses stehen (oder stehen sollten …).

Und wenn eine solche populäre, vielleicht sogar triviale Darstellung von Geschichte im Fernsehen, in Büchern, auf Veranstaltungen, im Internet oder wo auch immer vermehrt stattfindet, wenn sie Widerspruch aus wissenschaftlichen Kreisen nach sich zieht, wenn sie eine öffentliche Debatte um „akademische“ und „populäre“ Geschichte auslöst – wäre das nicht allemal besser als ein fortgesetztes Nebeneinander zweier Welten, zwischen denen keine Verständigung stattfindet, ja, nicht einmal versucht wird?

Wirklich, ich beneide die Briten …